Stadtentwicklung: Darf es etwas smarter sein?

Smart City (Foto: Capankajsmilyo, CC BY-SA 4.0)

Viele tschechische Kommunen haben noch keine Strategie für fortschrittliche Entwicklungskonzepte.

Smart City  (Foto: Capankajsmilyo,  CC BY-SA 4.0)
Gerade der Verkehr ist eines der großen Probleme in tschechischen Städten. Aber auch das Rennen von Amt zu Amt macht den Bewohnern zu schaffen. Es sind Bereiche, in denen intelligente Lösungen im Sinne von Smart City helfen könnten. Doch viele Städte und Gemeinden hierzulande tun sich schwer bei dem Thema, wie eine Umfrage der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (DTIHK) zeigt. Lenka Šolcová betreut bei der Handelskammer den Bereich Innovation & Startups:

„Bei den Aussagen, die die Umfrage zutage gebracht hat, steht an erster Stelle: Die Städte und Gemeinden haben den Willen, smart zu werden, aber ihnen fehlt eine Strategie dafür. Das trifft sowohl auf die kleinen als auch die größeren Städte zu. Zweitens fehlen personelle Kapazitäten, Koordinatoren oder Beauftragte, die sich ganz gezielt mit dem Thema ‚Smart City‘ beschäftigen. Und es fehlt auch das Knowhow zum Thema, zu den technischen Möglichkeiten, dem Mehrwert, den Kosten. Und drittens eine weitere wichtige Aussage: Es fehlt Geld, und der Verwaltungsaufwand nimmt zu.“

Christian Rühmkorf  (Foto: Archiv DTIHK)
Für die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer gehört die Umfrage zum Jahresthema 2017. Das lautet „intelligente Infrastruktur“. Insgesamt 120 Gemeinden wurden befragt, deutlich über die Hälfte waren Orte von bis zu 1000 Einwohnern. Gerade für sie ist die Umfrage repräsentativ, aber auch die Ergebnisse für Städte ab 10.000 Einwohnern sind nicht zu vernachlässigen. Christian Rühmkorf leitet bei der Kammer den Bereich Unternehmenskommunikation:

„Wir haben festgestellt, dass es hierzulande bisher keine Umfrage dieser Art und damit auch keine Bestandsaufnahme gibt. Deswegen ist unsere Erkenntnis von großer Bedeutung, dass für 76 Prozent der kleinen Gemeinden – also bis 1000 Einwohner – das Thema mittelwichtig bis sehr wichtig ist, aber nur fünf Prozent eine Strategie haben und es konkret angehen. Nicht ganz so markant, aber mit einem ähnlichen Trend sieht es bei den Städten aus. Da haben 95 Prozent angegeben, dass Smart City für sie mittelwichtig bis sehr wichtig ist. Aber auch hier haben nur 40 Prozent eine Strategie.“

Pilsen plant selbst

Eine der tschechischen Städte, die bereits aktiv geworden sind, ist Plzeň / Pilsen. 170.000 Einwohner, Europäische Kulturhauptstadt des vergangenen Jahres. Nun besteht auch ein Konzept dafür, smarter zu werden. Es ist in Eigenregie entstanden. Bewusst habe man nicht Fachleute von außerhalb beauftragt, sagt Veronika Cholinská. Die junge Frau ist Projektmanagerin für die Verwaltung von Informationstechnologien in Pilsen. Laut Cholinská wurden stadtintern sechs Arbeitsgruppen gebildet, um intelligente Lösungen zu finden.

Projekt Pilsen Cube
„Die Lösungen entstehen zum einen auf Grundlage von Umfragen. Aus diesen Erhebungen sehen wir, in welchen Bereichen sich die Stadt in die richtige Richtung entwickelt und wo es nachzulegen gilt. In der Regel verbindet sich dies mit dem, was wir auch selbst spüren. Das heißt, das Objektive verbindet sich mit dem Intuitiven.“

Herausgekommen ist ein buntes Gemisch unterschiedlicher Maßnahmen. Veronika Cholinská zählt einige auf:

„Zum Beispiel ist dies ein Projekt zur Förderung der praktischen Ausbildung, mit dem Titel Smart Edu Plzeň. In diesem sind alle Bildungsstufen, vom Kindergarten bis zur Universität, mit dem privatwirtschaftlichen Sektor vernetzt. Oder etwa das Projekt Pilsen Cube II. Dort erhalten Schüler der Sekundarstufe die Möglichkeit, eine Sonde mitzuentwickeln, die wir in den Weltraum schicken wollen. Die Schüler können dabei eigene Experimente vorschlagen. Dann auch das Projekt von Oberleitungsbussen mit Akkus, die energiesparender fahren. Oder auch die App der Stadt, mit der jeder problemlos in ein paar Sekunden das Rathaus über Missstände im öffentlichen Raum informieren kann.“

Jaroslav Klusák  (rechts). Foto: Archiv DTIHK
Hürden entstehen laut Cholinská vor allem durch rechtliche Probleme. Beispiel: das Bürgerportal der Stadt. Da lautet die Frage immer noch, welche Auflagen dabei für IT-Sicherheit und Datenschutz bestehen. Solche Dinge zu klären, verzögere immer wieder Projekte, sagt die frühere Journalistin.

Einen ganz anderen Ansatz hat man in Litoměřice / Leitmeritz. Jaroslav Klusák ist Energiemanager der mittelgroßen Stadt (24.000 Einwohner) in Nordböhmen:

„2012 haben wir begonnen, an einem Konzept für das Energiemanagement städtischer Immobilien zu arbeiten. Seit vergangenem Jahr ist dasselbe für den Verkehr hinzugekommen. Das heißt, wir erstellen einen Plan für die Mobilität in der Stadt. Zwar versuchen wir auch, diese Bereiche mit technologischen Lösungen zu verbinden. Ein konkretes Konzept für eine Smart City haben wir jedoch nicht, sondern einen Stadtentwicklungsplan. Vor allem sind wir eine gesunde und nachhaltige Stadt, aber wir nennen uns nicht Smart City.“

Litoměřice spart Energie

Litoměřice  (Foto: KarelJ,  CC BY-SA 3.0)
Klusák rät den anderen Städten im Land, sich nicht kopflos in irgendwelche Projekte zu stürzen – nur weil smart heutzutage sexy klinge:

„Es braucht auch eine längerfristige Planung. Zwar wissen die Städte, dass Energie und Verkehr essentiell sind, aber sie sind noch nicht in der Lage, diese Themen anzugehen. Häufig glauben sie, dass sich die Verkehrsprobleme mit mehr Parkplätzen, deren Verlagerung an den Stadtrand oder einem Parkhaus lösen ließen. Das klappt natürlich nicht. Es braucht ein integriertes Konzept, damit die Stadt weiß, wo sich welche Maßnahmen anwenden lassen. Und das betrifft sowohl den Verkehr als auch die Energie.“

Litoměřice hat sich konkret vorgenommen, bis 2030 insgesamt 20 Prozent des Energieverbrauchs der Stadt einzusparen beziehungsweise ökologische Alternativen zu nutzen. Dazu wurden mehrere Projekte gestartet.

Illustrationsfoto: Maria Godfrida,  Pixabay / CC0
„Eines der interessantesten Projekte sind Fotovoltaik-Anlagen auf den Dächern städtischer Gebäude, Kindergärten und Schulen. Die Anlagen sind so dimensioniert, dass die meiste Energie vor Ort verbraucht wird. Zusammen mit der Stadt Dresden bereiten wir aber auch ein Pilotprojekt vor, bei dem wir den überschüssigen Strom so akkumulieren, dass er zum Aufladen von den Elektroautos der Stadt verwendet werden kann – beziehungsweise für die E-Bikes, die wir nutzen werden. Wir verfolgen ansonsten das Prinzip, dass wir die meisten Stadtimmobilien im Niedrigenergie- oder Passivhausstandard renovieren. Das heißt, wir gehen über den Rahmen der Vorschriften hinaus. Das zahlt sich aber aus. Damit lassen sich mehr als 80 Prozent der Heizenergie einsparen“, so Jaroslav Klusák.

Im nächsten Schritt möchte das Rathaus aber über die städtischen Liegenschaften hinausgehen, wie der Energiemanager verrät:

„Wir würden gerne im Rahmen eines europäischen Projektes zusammen mit Banken und örtlichen Unternehmern finanzielle Anreize entwickeln, damit auch Privatleute mehr in Sparmaßnahmen und in die Nutzung erneuerbarer Energien investieren.“

DTIHK will Anfängern helfen

Zwei tschechische Städte, zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Bei der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer besteht die Erkenntnis, dass dringend Leitfäden für kleinere Städte und Gemeinden nötig sind. Christian Rühmkorf:

„Wir versuchen gemeinsam mit unseren Partnerunternehmen, die die technologische Kompetenz und die Erfahrung aus Pilotprojekten haben, und den Städten und Gemeinden, eine Art Handreichung zu entwickeln. Sie soll noch in diesem Jahr den Anfängern und Fortgeschrittenen erste Hilfe bieten für die Lösungen unter dem Stichwort Smart City. Große Städte sind schon weiter, haben meist ihr eigenes Konzept und wissen zwar nicht immer, aber oft, was sie tun.“

Fragt sich, warum der tschechische Städte- und Gemeindebund in diesem Bereich nicht schon längst aktiv geworden ist.

Autor: Till Janzer
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