Vom Rundfunk in die ganze Stadt: Prager Aufstand begann vor 70 Jahren

La bataille de la Radio tchécoslovaque, photo: VHÚ

Der 9. Mai gilt als Tag der Befreiung von Prag, Truppen der Roten Armee marschierten in der Stadt ein. Doch bereits vier Tage vorher erhoben sich die Tschechen gegen die deutschen Besatzer – der Prager Aufstand nahm seinen Lauf. Zum 70. Jahrestag gedachte die Öffentlichkeit der Barrikadenkämpfer und Zivilisten, die kurz vor Kriegsende ihr Leben verloren. Historiker haben nun ermittelt, dass die Opferzahlen wesentlich höher waren als lange Zeit angenommen. Und auch deutsche Zivilisten starben.

Bohuslav Sobotka  (links). Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Erinnerungsplaketten für die Opfer des Aufstandes finden sich heute an Häusern in ganz Prag. Doch der zentrale Erinnerungsort ist das Gebäude des Tschechischen Rundfunks gleich hinter dem Wenzelsplatz. Hier kamen am Dienstag Zeitzeugen und Politiker zum feierlichen Gedenkakt zusammen.

„Wir kehren heute an einen Ort zurück, der für die Geschichte unseres Landes seit dem Zweiten Weltkrieg eine positive Wende symbolisiert“,

so leitete der Premier Bohuslav Sobotka seine Ansprache ein. Am Morgen des 5. Mai 1945 hatte es der Redakteur Zdeněk Mančal gewagt, sich in seiner Muttersprache auf Tschechisch an die Hörer zu wenden. Dabei war die Sendesprache seit 1939 Deutsch. Die Reaktion der Besatzer folgte prompt: Die SS stürmte das Gebäude. Mittags schickten die Redakteure Hilferufe über den Äther:

Zdeněk Mančal
„Wir rufen die tschechische Polizei, die tschechische Gendarmerie und die Regierungstruppen zu Hilfe zum tschechischen Rundfunk.“

Einer der dem Ruf folgte, war Eduard Marek. Heute ist er 98 Jahre alt. Vor 70 Jahren fungierte er als Verbindungsmann zwischen Polizei und Aufständischen und informierte deren Anführer, General Karel Kutlvašr, über den Stand der Dinge im Stadttteil Karlín.

„Wir mussten freiwillige Kämpfer requirieren und Waffen auftreiben. In unserem Revier in Karlín haben wir dann eine ganze Garage voller Waffen gesammelt. Dann haben wir Leute zusammengetrommelt und Autos. Am Ende waren es vier Autos, die wir direkt nach dem Aufruf zum Rundfunk geschickt haben.“

Eduard Marek | Foto: ČT24
Im letzten Auto hätte Marek sitzen sollen – doch zu seinem Glück blieb er in Karlín. Allein im Kampf um den Rundfunk starben in den Tagen vor Kriegsende 170 Menschen. Doch die Aufständischen stellten sich in ganz Prag den Besatzern entgegen. Mit Hilfe der russischen Wlassow-Armee, die auf die Seite der Roten Armee übergelaufen war, konnten sie bis zum 8. Mai etwa die Hälfte der Stadt unter ihre Kontrolle bringen. Die Gesamtzahl der tschechischen Opfer war dabei höher als bislang angenommen. Ivo Pejčoch ist Historiker beim Militärhistorischen Institut in Prag.

Ivo Pejčoch  (Foto: Archiv des Militärhistorischen Instituts in Prag)
„Wir sind erneut die vorhandenen Karteien durchgegangen, aber zusätzlich haben wir noch weitere Matrikel und andere Quellen untersucht. Damit kommen wir heute auf eine Zahl von annähernd 2900 gefallenen Tschechen. Und wenn man noch die Angehörigen der Wlassow-Armee in Betracht zieht, sind wir bei einer Opferzahl von 3000.“

Überhaupt keine Beachtung fand bislang die Tatsache, dass während des Aufstands auch deutsche Zivilisten starben. 12 Todesopfer haben nun die Historiker Zdeněk Roučka und Tomáš Jakl unter anderem mit Hilfe von Fotografien ermittelt. Tomáš Jakl:

„Die Aufnahmen der Toten in der Balbínova-Straße waren auch schon nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt. Doch die Personen auf den Fotografien wurden – und sei es aus Unwissenheit – als tote Tschechen ausgegeben, die unbewaffnet für den Rundfunk gekämpft haben sollen.“

Kampf um den Rundfunk
Zu sehen ist diese Episode aus dem Prager Aufstand in dem Dokumentarfilm „Der Kampf um den Rundfunk“ (Bitva o rozhlas). Die Geschichte des Prager Aufstandes bleibt weiterhin eine Aufgabe für Historiker. Vor allem auch, weil die Ereignisse ab 1948 von den neuen Machthabern instrumentalisiert wurden. In der offiziellen Staatsdoktrin waren die Aufständischen allesamt kommunistische Helden. Mit der Realität hatte das wenig zu tun. So wurde etwa der Anführer des Aufstands, General Kutlvašr, 1948 aus der Armee ausgeschlossen, er starb im Gefängnis. Auch Eduard Marek verbrachte über acht Jahre in kommunistischen Gefängnissen und Arbeitslagern.