70 Jahre Ackermann-Gemeinde

Foto: Martina Schneibergová
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Während des Kommunismus unterstützte sie die tschechoslowakische Kirche, nach der Wende setzte sie sich für eine deutsch-tschechische Versöhnung ein: Die Ackermann-Gemeinde. Vor 70 Jahren wurde sie von sudetendeutschen Katholiken in München gegründet. Das Jubiläum hat sie am Mittwoch mit einer Wallfahrt in das nordböhmische Filipov / Philippsdorf gefeiert.

Trio Gitano  (Foto: Martina Schneibergová)
Das Trio Gitano begleitete die Begegnung im Hotel Lužan in Rumburk / Rumburg musikalisch. Nach einem Gottesdienst in der Marienbasilika im Wallfahrtsort Filipov trafen dort die Mitglieder der deutschen Ackermann-Gemeinde und ihrer tschechischen Schwesterorganisation zu einer Feierstunde zusammen. Der Bischof von Görlitz Wolfgang Ipolt zelebrierte zuvor den Gottesdienst in Filipov. Er erinnerte an die Worte Mariens, die dort 1866 erklungen sein sollen: „Von jetzt an heilt´ s!“. Dies hätten die Begründer der Ackermann-Gemeinde vor 70 Jahren als ihr Motto verstanden, so der Bischof:

Bischof Wolfgang Ipolt  (Foto: Martina Schneibergová)
„Wir dürfen heute im Jahr 2016 den Gründern der Ackermann-Gemeinde sehr dankbar sein, dass sie dieses Versöhnungswerk in Gang gesetzt haben. Es war aus damaliger Sicht ein wahrhaft prophetischer Schritt, der sich jetzt über sieben Jahrzehnte bewährt hat. Sie sorgen dafür, dass die Beziehungen zwischen dem tschechischen Volk und dem deutschen Volk in kultureller und religiöser Hinsicht weiter vertieft werden. Wir Ostdeutschen, zu denen ich auch gehöre, haben während der kommunistischen Zeit über Ihre Arbeit wenig gewusst. Wahrscheinlich war das in der damaligen Tschechoslowakei ähnlich. Heute weiß ich, dass die Ackermann-Gemeinde kein Verein selbstverliebter Betriebsamkeit ist, wie man auf Ihrer Internetseite lesen kann, sondern ein Raum für Mittel- und Osteuropa sein will, die aus dem Geist des Evangeliums aufeinander zugehen wollen. Es ist darum umso schöner, dass Sie inzwischen alle selbstverständlich ein Baustein im zusammenwachsenden Europa sind.“

Martin Kastler  (Foto: Martina Schneibergová)
Der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Martin Kastler ging in seiner Festrede auf die Anfänge der Organisation sowie die Zeit des Eisernen Vorhangs ein.

„Die damaligen Verantwortlichen warteten nicht auf die ideale Situation, sondern knüpften, wenn immer es möglich war, Kontakte und schufen so die Chancen für Begegnungen. Nachdem für Westdeutsche ab Anfang der 1960er Jahre die Möglichkeit von Reisen in die damalige sozialistische Tschechoslowakei erlaubt worden war, machten sich Busse der Ackermann-Gemeinde auf den Weg und durchlöcherten damit ein Stück weit den Eisernen Vorhang. Aus den Begegnungen mit den verfolgten Christen und der verfolgten Kirche und im Wissen um ihre Situation entwickelte das Sozialwerk der Ackermann-Gemeinde breit angelegte Unterstützungsmaßnahmen für Priester und Laien. Allein die sogenannte ´Priesterkartei´ des Sozialwerks umfasste 1258 Namen von Geistlichen, die bis 1989 betreut wurden. Sie erhielten Literatur, Medikamente, aber auch finanzielle Unterstützung. Diese gelebte Solidarität unter schwierigen Bedingungen und durch den Eisernen Vorhang hindurch, hat Vertrauen aufgebaut und glaubhaft bezeugt, dass es die Ackermann-Gemeinde mit dem deutsch-tschechischen Miteinander ernst meint.“

Foto: Martina Schneibergová
Mit dem Jahr 1989 eröffneten sich Kastler zufolge neue Möglichkeiten. 1999 gründeten Menschen, die sich in Tschechien den Zielen der Ackermann-Gemeinde verbunden fühlten, eine Schwesterorganisation. Sie erhielt den Namen „Sdružení Ackermann-Gemeinde“. Die Mitglieder der beiden Organisationen seien, so Kastler, heute in Deutschland und in Tschechien gemeinsam unterwegs, um die deutsch-tschechische Nachbarschaft zu gestalten und sich aus christlicher Verantwortung für Europa zu engagieren. Martin Kastler:

"Wir sind weiter gefordert. Jeder von uns persönlich an seinem Platz, jeder mit seinen Talenten. Aber wir sind auch gemeinsam gefordert als Deutsche und Tschechen, als Christen und Europäer. Wir wollen die Gegenwart mitgestalten, wie wir es durch unser großes Treffen im Sommer letzten Jahres in Budweis deutlich machten. Wir stehen auch vor einer neuen Wende. Dies machte uns Fürst Karel Schwarzenberg in seiner Rede in Budweis sehr deutlich, als er sagte: ´Die goldenen Jahre nach 1989 sind vorbei. Sie waren eine goldene Zeit in unserem Leben. Aber wie alle goldenen Zeiten, neigt sie sich jetzt ihrem Ende zu. Jetzt kommen schwierige Zeiten. ´ Leider zeigen uns täglich die Nachrichten, dass diese Einschätzung von Karel Schwarzenberg kein Pessimismus war, sondern Realismus ist. Mit Blick auf die Vertriebenen und Flüchtlinge von heute gilt ebenso, dass Integration gelingen muss und die Ankommenden ´Baustein und nicht Sprengstoff´ sein dürfen, wie es der erste Vorsitzende der Ackermann-Gemeinde Hans Schütz als christlicher Sozialpolitiker - der auch schon im Prager Parlament der Ersten Republik als christlicher Gewerkschafter für die Christsozialen saß - treffend formulierte: ´Ihr sollt Bausteine sein und nicht Sprengstoff´.“

Foto: Verlag Vyšehrad
All dies mache deutlich, die Ackermann-Gemeinde werde heute gebraucht, erklärte Martin Kastler abschließend.

Der Name der Ackermann-Gemeinde bezieht sich auf eine neuhochdeutsche Dichtung, den „Ackermann aus Böhmen“ von Johannes von Saaz. Anlässlich des Jubiläums wurde das Werk neu herausgegeben. Die Neuauflage wurde in Rumburk vorgestellt.