Unterirdisches Felsenlabyrinth in Braník

Foto: Archiv des Tschechischen Naturschutzverbandes

Am rechten Moldauufer unweit vom Vyšehrad erstreckt sich der Prager Stadtteil Podolí. Aus der Ferne sind das dortige Wasserwerk und die Schwimmhalle gut zu sehen. Einige Hundert Meter hinter dem Sportareal stromaufwärts erheben sich die Kalksteinfelsen in Braník. Tausende von Pragern fahren mit der Straßenbahn täglich aus dem Stadtteil Modřany ins Stadtzentrum an den mächtigen Felsen vorbei und schenken der Naturszenerie wenig Aufmerksamkeit. Kaum jemand von ihnen ahnt, dass sich in den Felsen ein Labyrinth von unterirdischen Gängen mit einer beachtenswerten Geschichte verbirgt.

Braník-Felsen  (Foto: Archiv Radio Prag)
Bei schönem Wetter ist der Kinderspielplatz am Fuße der Felsen im Stadtteil Braník von Leben erfüllt. Die Bänke unter den Kiefern füllen sich mit Menschen genauso wie die kleine hölzerne Aussichtstribüne, die der anerkannte Architekt David Vávra entworfen hat. In den Felsen entsprang einst eine Quelle, die reich an Schwefel- und Eisenverbindungen war. Das Wasser aus Braník wurde noch Anfang des vergangenen Jahrhunderts an Interessenten geliefert. Die Felsen sind Ausläufer des Böhmischen Karstes. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich das Wasser Wege durch den Felsen gebannt. Auf diese Weise sind nach und nach mehrere Höhlen entstanden. Früher war der Felsenkomplex viel größer. Der dortige Kalkstein wurde jedoch schon im 14. Jahrhundert unter Karl IV. als Baumaterial verwendet. Aus dem feinen Kalkstein stellten die Bergleute Kalk her – die sogenannte „pasta di Praga“. Diese war unter Stuckateuren genauso gefragt wie unter den Baumeistern, die die Prager Uferkais der Moldau errichteten. Denn der aus diesem Kalk zubereitete Mörtel wurde auch unter Wasser schnell hart.

Gängesystem der Felsen in Braník
Durch die Erweiterung des Steinbruchs sind die Höhlen größtenteils verschüttet und beschädigt worden. Die Pioniere der Geologie, unter ihnen auch der berühmte Joachim Barrande, suchten im 18. und 19. Jahrhundert in den Felsen nach Fossilien, sie fanden dort oft Kopffüßler und Trilobiten. Kalkstein wurde in Braník bis 1928 gefördert. Während des Zweiten Weltkriegs suchten die deutschen Industrieunternehmen nach Möglichkeiten, um der Bombardierung durch die Alliierten zu entgehen. Darum suchten die Deutschen nach geeigneten Orten, wo unterirdische Fabriken errichtet werden konnten. Einer dieser Orte waren die Prager Felsen in Braník. Die Wehrmacht begann 1944 mit dem Bau einer Fabrik in dem verlassenen Steinbruch. Unter dem Decknamen Bronzit sollten dort elektronische Kleinteile für die Firma Philips hergestellt werden. Aus den Erinnerungen eines Zwangsarbeiters geht hervor, dass der Bau der Fabrik nie abgeschlossen wurde. Eine Zeit lang soll dort jedoch eine Fertigungsstraße mit Drehmaschinen im Betrieb gewesen sein. Den Kern der unvollendeten Fabrik bildeten drei Stollen innerhalb der Felsen.

Ausgeklügeltes Gängesystem

Unterhalb der Felsen in Braník steht eine kleine Holzkirche, die schon aus der Straßenbahn gut zu sehen ist. Sie gehört der evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder. An einem sonnigen Februarnachmittag gab es wieder mal die Möglichkeit, das Felsenlabyrinth mit einem Experten zu besuchen. Der Treffpunkt war der Spielplatz. Stanislav Tůma ist Speleologe vom Tschechischen Naturschutzverband und kennt sich in den Höhlen in Braník aus. Hinter der Kirche gibt es seinen Worten zufolge drei sehr kurze Gänge. Dort haben die Betreiber von Bronzit während des Kriegs wahrscheinlich Arbeitsinstrumente oder Sprengstoff gelagert. Ausgeklügelter und umfangreicher ist das System von Gängen, das sich hinter dem Wall befindet. Dort seien noch Spuren der einstigen Fabrikproduktion zu erkennen, sagt der Experte. Über den Wall geht es zu einer eisernen Tür. Sie hat kein klassisches Schloss, aber der Speleologe kennt den erforderlichen Griff, um sie zu öffnen. Wie er erzählt, musste die Tür früher auch mehrmals im Monat vor Vandalismus abgesichert werden. Darum habe man zu dieser etwas ungewöhnlichen Lösung gegriffen, sagt er und erläutert die geologischen Besonderheiten der Felsen:

Foto: Archiv Radio Prag
„Hier kann man erkennen, dass sich ganz dünne Kalksteinschichten mit dünnen Schieferschichten abwechseln. Da die Schichten in einem Winkel von etwa 45 Grad liegen, wird aus dem Schiefer ein sehr glatter Lehm. Als Resultat davon rutschen die Felsen immer weiter ab. Nebenan steht eine kleine Kirche, die durch den Felsenrutsch gefährdet ist.“

Weiter geht es in den südlichen Gang. Er ist kurz, weil er zum großen Teil verschüttet wurde. Während der Führung macht Stanislav Tůma auf verrostete Einrichtungen auf der Decke aufmerksam:

„Zu sehen sind hier Reste der ursprünglichen deutschen Elektroinstallation, daran knüpfte die Installation aus den 1950er Jahren an, die nicht viel besser war.“

Durch den Gang führen Gleise, auf denen das Material befördert wurde. Nach einigen Metern ist es nur auf allen vieren möglich, durch ein enges Loch in einen der Sackgänge zu gelangen. Die Deutschen ließen die Produktionshallen in den Querstollen bauen. Die Längenstollen dienten zum Transport zwischen den einzelnen Arbeitsplätzen und zur Lüftung. Dem entsprechen die Parameter der Höhlen: Die Gänge sind etwa drei Meter breit und hoch, die Produktionsmaschinen und Hebekräne passten hindurch. Die Verbindungsgänge zwischen den Stollen wurden oft eingemauert, erst nachträglich wurden in einigen der Mauern Öffnungen errichtet, sagt Stanislav Tůma:

„Dies ist eine der geheimnisvollen Wände, diese da ist am dicksten. Der Zweck, zu dem die Mauern dienen, ist wirklich unklar, sie hatten anscheinend keinen Sinn.“

Fledermausbiotop unter Naturschutz

Fledermaus  (Foto: Archiv des Tschechischen Naturschutzverbandes)
Die Besichtigung wird im nördlichen Gang fortgesetzt. Von linker Seite kommt das Tageslicht durch eine kleine Öffnung:

„Hinten befindet sich der ursprüngliche Eingang in die unterirdischen Gänge, die von den Deutschen genutzt wurden. Der Eingang ist heute verschüttet, ganz oben aber gibt es eine Öffnung, durch die Fledermäuse hierher gelangen. Auf der Wand sind schöne Calcitadern zu erkennen. Sie sind ein Beweis dafür, dass der Felsen immer noch arbeitet. Die alten Risse wurden mit Calcit gefüllt.“

Durch den längsten Abschnitt der etwa 250 Meter langen Besichtigungstrasse geht es bis zum sogenannten „Zával radosti“ (Einsturz der Freude). Der Kalkstein verlor an dieser Stelle an Festigkeit, und die Decke stürzte in den 1950er Jahren ein. Hinter dem Einsturz führt eine kaminartige Öffnung hinaus. Heute dient sie den Fledermäusen als Ein- und Ausgang. Die Tiere überwintern in dem Stollen. Naturschützer kümmern sich um gute Bedingungen für die Fledermäuse. Alljährlich sorgen sie dafür, dass die Mitarbeiter des Bergbaurettungsdienstes die Gänge überprüfen und den Eingang vor Unbefugten absichern. Finanziert wird dies durch Eintrittsgelder. In den attraktiven Gegenden Prags wird der Druck auf eine kommerzielle Nutzung interessanter Räumlichkeiten immer stärker. Könnte es nicht passieren, dass ein Unternehmungslustiger auch das unterirdische Felsenlabyrinth kommerziell nutzen möchte? Dazu Stanislav Tůma:

Foto: Archiv des Tschechischen Naturschutzverbandes
„Dies ist unwahrscheinlich. Es gab Bemühungen, hier Kartoffelkeller einzurichten. Aber im Gesetz ist verankert: Wenn es Fledermäuse gibt, wird deren Biotop geschützt. Darum besteht momentan nicht die Gefahr, dass hier Weinstuben oder unterirdische Schießstätten errichtet werden.“

Diejenigen, die sich für den Besuch der unterirdischen Räume in den Felsen von Braník interessieren, können eine Besichtigung buchen, und zwar unter der Mail-Adresse: [email protected]. Die Führungen werden vom Mai bis Oktober angeboten. Der Eintritt kostet 100 Kronen. Die Besichtigung dauert mit dem Vortrag draußen etwa 45 Minuten. Es ist notwendig, eine Stirn- oder Taschenlampe mitzunehmen und sich entsprechend anzuziehen. Der Ort ist mit der Straßenbahn Nr. 3 und 17 (Haltestelle „Přístaviště“) zu erreichen.