Tradition, Fußball und Spione: Die Bierstube U Fleků

Bierstube U Fleků (Foto: Ondřej Tomšů)

Keine andere Gaststätte in Prag hat ihre Umgebung so geprägt wie das U Fleků – seit nunmehr einem halben Jahrtausend ist die Bierstube durchgehend in Betrieb, sie ist zum festen Bestandteil des Prager Lokalkolorits geworden.

Bierstube U Fleků  (Foto: Ondřej Tomšů)
Leicht zu finden ist das U Fleků in den engen Gässchen der Prager Altstadt nicht, auch wenn die Bierstube eigentlich in keinem guten Reiseführer fehlen darf. Dabei scheint es so, als habe sich das ganze Viertel ausschließlich um das U Fleků herum entwickelt. Stanislav Derous führt Besuchergruppen durch die Traditionsgaststätte:

„Der erste Braumeister hier war Vít Křemenec, nach dem die heutige Křemencova-Straße benannt ist. Später, im 16. Jahrhundert, hat Jakub Flekovský hier sein Bier gebraut. Seinen Namen trägt das Gasthaus bis heute, wenn auch in der verkürzten Form U Fleků. Und auch der Name der anliegenden Pštrossova-Straße hat etwas mit dem Betrieb zu tun: Braumeister Bedřich Pštross war nämlich der erste, der hier das typische dunkle Bier gebraut hat. Es ist bis heute das einzige, das wir im Angebot haben, und wir stellen es in der Tat seit 1830 nach demselben Rezept her.“

Foto: Ondřej Tomšů
Tatsächlich schmeckt das Bier aus der hauseigenen Brauerei einzigartig. Der dunkle Gerstensaft ist gleichzeitig süßlich und angenehm herb. Und nicht nur die Rezeptur stammt aus längst vergangenen Tagen, auch die Kessel und Bottiche sind Antiquitäten. Zudem verlassen sich die Braumeister hier auf eine schon längst vergessene Kühltechnik:

„Diese große offene Wanne hier nennen wir ‚Kühlstock‘. Als eine der letzten Brauereien in Europa wenden wir das mittelalterliche Verfahren der Luftkühlung an, wir senken die Temperatur unseres Bieres also ‚Open air‘. Und dazu haben wir einen ganz einfachen Grund: Durch das Kühlen in einem offenen Behälter verdampft viel überflüssiges Wasser, und aus einem zwölfprozentigen Lagerbier wird ein dreizehnprozentiges.“

Ochsenblut und Bienenwachs als Schlüssel zum Erfolg

Rittersaal  (Foto: Ondřej Tomšů)
Doch nicht nur wegen der alten Geräte lohnt sich ein Blick in die Brauerei des U Fleků. Beim Eintreten fallen dem Besucher gleich die reich verzierten Decken auf:

„Die Decke ist seit dem 14. Jahrhundert so erhalten, die Malereien sind also stolze 600 Jahre alt. Das ist bemerkenswert, denn hier ist es heiß wie in einer Sauna. Und im Winter, wenn es draußen kalt ist, tropft das Kondenswasser in Bächen die Querbalken hinab. Die Kunst ist hier erhalten geblieben, weil die mittelalterlichen Meister das Holz mit einer einzigarten Mischung imprägniert haben. Sie besteht aus Ochsenblut, Bienenwachs und Eiern.“

Was ist aber das Geheimnis des dunklen Pilseners im U Fleků?

Foto: Ondřej Tomšů
„Unser Bier ist eine Spezialität, ein richtiges Naturprodukt. Es ist weder pasteurisiert noch gefiltert, es lebt und gärt also weiter. Dadurch hat es einen hohen Vitamin-B-Gehalt, ist aber auch nur rund drei Wochen haltbar. Mit irgendeinem Flaschenbier aus dem Supermarkt kann man es also nicht vergleichen.“

Dass das Bier nur eine so kurze Haltbarkeit hat, macht aber rein gar nichts. In den 1970er Jahren haben die Verfasser eines Prager Bierstuben-Führers nämlich ausgerechnet, dass eine Tagesproduktion noch am selben Abend vollständig die trockenen Kehlen der Besucher im U Fleků hinunterströmte.

Wenn der Teufel auf den Trinker aufpasst…

Stanislav Derous | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International
Darüber, dass man nicht zu viel trinkt im U Fleků, wacht ein mittelalterlicher Alkoholtester. Im Grunde ist er relativ unauffällig, es handelt sich nämlich um einen kleinen Gusseisenteufel, der an einer der Wände angebracht ist. Stanislav Derous erklärt, wie es funktioniert:

„Wenn man zu dem Teufel hinaufschaut und nichts Auffälliges sieht, dann ist alles in Ordnung, und man kann ruhig noch das ein oder andere Bier trinken. Wenn der Teufel aber zu tanzen anfängt oder dort an der Wand auf einmal zwei oder drei Teufel sind, dann sollte man lieber heimgehen. Dieser Alkoholtester funktioniert aber individuell und richtet sich ganz nach dem persönlichen Trinkvermögen.“

Er habe selbst schon Kandidaten erlebt, die mehr als zehn Stricherl auf ihrem Bierdeckel hatten, lacht Derous.

Foto: Ondřej Tomšů
Mit den Jahren ist das U Fleků immer mehr gewachsen. Heute können rund 1200 Gäste das hauseigene Bier und die gute böhmische Küche genießen. Das Publikum war dabei immer bunt gemischt, vom Arbeiter über den Studenten bis hin zum Universitätsprofessor. Heute zählt die zünftige Wirtschaft zu einem der größten Touristenmagneten Prags.

Alternde Künstler und Can-Can

Herzstück der Bierstube ist der repräsentative Rittersaal, der eine umfunktionierte Kapelle ist. Platz nehmen kann man aber auch in einer ehemaligen Reithalle, die von den Kellnern heute liebevoll Leberwurst genannt wird. Eine Besonderheit des U Fleků ist aber ein Theatersaal, in dem sich seit jeher Kleinkünstler und Alleinunterhalter die Klinke in die Hand geben:

Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International
„Jeden Freitag oder Samstag gibt es hier ein klassisches Kabarett mit Musik und Theater. Vor allem Touristen kaufen sich gerne ein Paket mit Karten für die Vorführung mit einem Abendessen. Geboten wird aber immer ein interessantes Programm. Ansonsten spielt bei uns jeden Tag jemand ab Mittag die Ziehharmonika, und wir haben hier durchgehend Livemusik.“

Die Wände des U Fleků sind verziert mit großflächigen Malereien des Künstlers Lada Novák. Und zu ihm kennt Stanislav Derous eine interessante Anekdote:

„Als es um die Entlohnung für die Bilder ging, hat Lada Novák eine Vereinbarung mit dem damaligen Braumeister getroffen. Ihm würde es reichen, jeden Abend das ein oder andere Bier spendiert zu bekommen, so der Künstler. Da Lada Novák schon damals nicht mehr der Jüngste war, stimmte der Braumeister ohne zu überlegen zu. Doch der Maler lebte noch weitere dreißig Jahre und kam ausnahmslos jeden Abend hierher. Die Bilder sind letztlich viel teurer geworden als geplant.“

Ein Paradies für Hobby-Kicker und Geheimagenten

Biergarten  (Foto: Ondřej Tomšů)
Der Satz: „Wenn doch diese Mauern sprechen könnten“ passt wohl kaum besser auf eine Gastwirtschaft, als auf das U Fleků. Viele Legenden und Anekdoten ranken sich um die Wirtstische, und auch in die internationale Sportgeschichte ist die berühmte Prager Bierstube eingegangen. Daran erinnert eine Gedenktafel in einer Ecke des Biergartens:

„Genau in dieser Ecke wurde im Jahr 1911 der kroatische Erstliga-Fußballverein Hajduk Split gegründet. Deswegen kommen im Frühsommer immer auch Horden von Kroaten zu uns. Der Verein wurde von Studenten aus Split gegründet. Sie sind damals immer wiedergekommen und haben sich wehmütig an ihre Heimat erinnert. Das war auch der Grund, warum sie schließlich Hajduk Split ins Leben gerufen haben.“

Aber das Gasthaus war auch ein Brennpunkt der großen Geschichte. So zum Beispiel im Kalten Krieg:

Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International
„West- und Ostdeutsche konnten damals ja nicht so ohne weiteres in das jeweils andere Land reisen. Deshalb war es für Menschen von beiden Seiten einfacher, sich in Prag zu treffen. Natürlich nur, sofern sie keinem was davon gesagt hatten. Dabei ist es oft zu sehr emotionalen Momenten gekommen. Deswegen waren hier bei uns aber auch die Geheimdienste sehr aktiv. Ein damaliger Braumeister hat mir einmal erzählt, dass hier jeder zweite Kellner ein Agent oder Spion gewesen sei. Heute ist das hoffentlich nicht mehr so, aber damals musste man wirklich aufpassen, was man sagt.“

Die Kellner im U Fleků waren aber schon immer eine Sorte für sich, lacht Stanislav Derous:

„Alte Stammgäste schwärmen immer noch davon, wie das Bier hier 4,10 Kronen gekostet hat. Damals war es aber so, dass man dem Kellner ein ganzes Fünfkronenstück geben musste, sonst hat er einen den ganzen restlichen Abend ignoriert. Heute kann sich das natürlich keiner mehr erlauben, aber so hat das noch im Kommunismus funktioniert.“

Heute bekommt man das Bier im U Fleků für 59 Kronen, umgerechnet also knapp 2,50 Euro. Aber auf jeden Fall kann man sagen, dass sich dabei jeder Heller lohnt.