Tschechiens schwierige Beziehung zu Syrien

Aleppo in Syrien (Foto: Zyzzzzzy, CC BY 2.0)

Tschechien hat mit der Botschaft in Syrien eine Sonderrolle im dortigen Krieg. Ist das Land damit ein Handlanger Assads?

Aleppo in Syrien  (Foto: Zyzzzzzy,  CC BY 2.0)
Das bestialische Morden in Syrien stoppen. So haben rund 30 Künstler, Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens in Tschechien einen offenen Brief an die Vorsitzenden der Verfassungsorgane des Landes überschrieben. Sie fordern die tschechische Regierung, beide Parlamentskammern und den Staatspräsidenten auf, sich energischer auf der internationalen Bühne gegen das syrische Regime von Präsident Baschar al-Assad und dessen Verbündeten Russland einzusetzen. Petr Kolář war tschechischer Botschafter in Washington und Moskau und gehört zu den Mitunterzeichnern des Aufrufs. „Wir haben das Gefühl, dass hier nicht genug gemacht wird von tschechischer Seite. Sonst hätten wir den Text nicht verfasst“, so der Diplomat.

Petr Kolář  (Foto: Jan Bartoněk,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Hintergrund für den Brief ist vor allem der Kampf um die Stadt Ghuta. Die Hochburg der Gegner von Assad steht derzeit unter Beschuss, zu leiden hat unter den Gefechten vor allem die Zivilbevölkerung. Bisher sind nach Angaben von Menschenrechtlern dort mindestens 450 Menschen ums Leben gekommen, darunter auch Frauen und Kinder. Petr Kolář fasst zusammen, worum es den Unterzeichnern geht:

„Wir haben eine Liste von zehn Punkten zusammengestellt. Es ist ein Paket von Vorschlägen, die eine bessere Koordinierung mit unseren Verbündeten gewährleisten sollen. Natürlich kann Tschechien in Syrien nicht alleine für Frieden sorgen. Wir fordern in unserem Brief die tschechischen Verfassungsorgane dazu auf, sich gemeinsam mit den Verbündeten für eine Lösung des Problems einzusetzen.“

Baschar al-Assad  (Foto: Archiv des Pressedienstes des Präsidenten von Russland CC BY 4.0)
Gefordert wird ein entschiedenes Auftreten vor allem gegenüber Russland und dem Iran. Denn in den Augen der Unterzeichner ist die Wurzel der syrischen Tragödie klar, wie Petr Kolář erklärt:

„Ich habe das Gefühl, dass wir hierzulande oft vergessen, wer die ganze Sache dort verursacht hat. Es gibt ja immer den Aufruf, unter anderem von den Vereinten Nationen, etwas gegen die Ursachen der Migration nach Europa zu tun. Wir wissen aber, dass die meisten Menschen wegen Assad nach Europa fliehen und so große Probleme verursachen. Und wir wissen, wem das in die Hände spielt und wer hinter Baschar al-Assad steht. Das sind die Russische Föderation und deren Präsident Putin.“

Legitimität des Regimes

Tschechische Botschaft in Syrien  (Foto: Archiv des tschechischen Außenministeriums)
Besonders eine Tatsache stößt bei den Signataren des offenen Briefes auf Unverständnis. Tschechien ist derzeit das einzige westliche Land, das eine diplomatische Vertretung in Damaskus unterhält. Alle anderen Länder hatten mit Beginn des Bürgerkriegs ihre Koffer gepackt. Laut Petr Kolář müsste die Regierung sich ebenso für einen Abbruch der Botschaft entscheiden, denn:

„Sogar Bulgarien und Rumänien haben im Jahr 2012 ihre Botschafter abgezogen. Wir sind aber immer noch auf höchster Ebene in Syrien. Baschar al-Assad ist einfach nicht der legitime Herrscher des Landes. Sein Vater hat sich damals ins Amt des Präsidenten gepuscht, und Assad selbst konnte mit nur 34 Jahren dank einer Verfassungsänderung seine Nachfolge antreten. Der Assad-Clan ist eine ökonomische, militärische und polizeiliche Mafiaorganisation, die sich über ihren brutalen Geheimdienst an der Macht hält. Dadurch, dass wir immer noch unsere Botschafterin dort haben, legitimieren wir dieses Regime.“

Misstöne bei EU und Nato?

Eva Filipi  (Foto: ČT24)
Und noch etwas: Petr Kolář wiederholt die Kritik an Botschafterin Eva Filipi, die im April vergangenen Jahres von einem hohen tschechischen Diplomaten bei der Nato hervorgebracht wurde:

„Unser Vertreter bei der Nato hat damals gesagt, dass die Depeschen aus der tschechischen Botschaft in Damaskus eher die russische Sicht auf den Konflikt abbilden. Also in keinem Fall die Sicht unserer Verbündeten und auch nicht die Ergebnisse der Arbeit der Geheimdienste unserer Partner. Was ich jetzt sage, mag vielleicht etwas unkorrekt klingen. Ich denke aber, dass Botschafterin Filipi nicht wegen ihres Auftrags in Syrien ist, sondern nur auf Wunsch von Präsident Miloš Zeman.“

Lubomír Zaorálek  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Mittlerweile gibt man laut Kolář nämlich ein merkwürdiges Bild bei den Verbündeten in der Nato ab:

„Wenn ich mit meinen Kontakten bei Nato und EU spreche, dann zeigt sich ein anderes Bild, als es unsere offizielle Diplomatie zeichnet. Man fragt mich da immer wieder, und zwar mit einem ganz bestimmten Unterton, was wir dort überhaupt machen und wem wir dort überhaupt dienen.“

Die Kritik Petr Kolářs kann der sozialdemokratische Ex-Außenminister Lubomír Zaorálek nicht nachvollziehen. Der jetzige Leiter des Außenausschusses des Abgeordnetenhauses hatte die tschechische Botschafterin in Syrien, Eva Filipi, bereits im vergangenen Jahr gegen Angriffe verteidigt – und auch nun meint er:

„Wir sind da ja nicht unseretwegen dort. Wir leisten auch für die Vertreter anderer europäischer Staaten ganze Arbeit. Ich werde jetzt nicht aufzählen, welche Notlagen wir über unsere Botschaft gelöst haben, wie viele Vermisste wir wieder ausfindig gemacht und wie viele Gefangene wir wieder freibekommen haben. Was wir in Syrien machen, geschieht mit voller Zustimmung der Europäischen Union.“

Wichtige Rolle in der Region

Federica Mogherini  (Foto: Public Domain)
Tschechien übernimmt über seine Botschaft in der syrischen Hauptstadt unter andrem diplomatische und konsularische Aufgaben für die USA. Das schließt den kleinen noch offenen Kommunikationskanal zwischen Washington und dem offiziellen Regime in Damaskus mit ein.

Ebenso meint Zaorálek, dass er von Seiten der Verbündeten in Nato und EU keine Kritik mitbekommen habe. Mit einer kleinen Ausnahme sogar ganz im Gegenteil:

„Ich habe da noch nie ein schlechtes Wort gehört. Auch die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, steht klar hinter uns. Sie hat mir häufig gesagt, dass sie sich auch für sich selbst vergleichbare Verhandlungsmöglichkeiten in Syrien wünsche. Um gegen die Gräuel etwas machen zu können, die tagtäglich in Syrien passieren, muss Eines gelten: mehr Präsenz zeigen und nicht weniger.“

Die Ausnahme sei der britische Außenminister Boris Johnson gewesen, so Zaorálek. Der hätte tatsächlich nach dem Sinn der Botschaft in Syrien gefragt. Doch das liegt laut dem ehemaligen tschechischen Chefdiplomaten eher an der besonderen Rolle und den besonderen Interessen des Vereinigten Königreichs in dem Bürgerkriegsland.

Den Konflikt aus allen Winkeln betrachten

Giftgasangriffe von Ghuta  (Foto: محمد السعيد,  CC BY 3.0)
Aber nicht nur die westlichen Partner begrüßen Zaorálek zufolge die tschechische Vertretung in Damaskus. Auch die Syrer selbst seien froh, dass sie einen Kanal nach Europa hätten:

„Ich höre das oft von syrischen Partnern aus Politik und Wirtschaft: ‚Bei Gott, geht bloß nicht weg!‘ Die Syrer wollen nicht den Iran oder Russland als größten Partner, sondern Europa. Und da widerspricht es jeglicher Logik, die Botschaft aufzugeben. Es ist wichtig, dort zu sein.“

Der ehemalige tschechische Chefdiplomat verurteilt die Lage in Ghuta scharf. Er betont aber, dass die Unterscheidung zwischen Gut und Böse in diesem Konflikt nicht einfach sei:

Foto: Bernd Schwabe,  CC BY-SA 4.0
„In den Medien heißt es immer, dass in Ost-Ghuta, also einem Vorort der syrischen Hauptstadt Damaskus, die Opposition sitze. Es ist aber so, dass sich dort schon seit vier Jahren vor allem bedeutende radikalislamische Gruppierungen konzentrieren. Konkret geht es um Anhänger von al-Nusra und al-Kaida. Und gerade diese Gruppierungen sind die Wurzel eines Problems, mit dem wir auch in Europa zu kämpfen haben.“

Doch warnt er davor, den Bürgerkrieg in Syrien schwarz-weiß zu sehen. Nur das Al-Assad-Regime und Russland zu verurteilen, greift laut Zaorálek zu kurz. Denn auch dem Westen sind massive Versäumnisse vorzuwerfen:

„Wir haben uns in Syrien nicht rechtzeitig engagiert. Uns sind ganz andere Kräfte zuvorgekommen. Und die haben dafür gesorgt, dass Syrien zu einem Brutkasten für radikale Islamisten geworden ist. Konkret geht es um Staaten wie Katar, Saudi Arabien und die Türkei. Es sind vor allem sunnitische Kräfte aus diesen Ländern, die unter anderem an der Wiege des sogenannten Islamischen Staates standen. Das ist eine Entität, mit der wir lange gekämpft haben und die mittlerweile sehr geschwächt ist. Sie hat dort aber immer noch zu viel zu sagen.“

Die Menschen stehen an erster Stelle

Foto: zdiviv,  FreeDigitalPhotos.net
Für den ehemaligen tschechischen Außenminister ist es deshalb wichtig, ein starker Partner für das syrische Volk zu sein:

„Ich habe immer die Menschen dort im Sinn und nicht die politischen Eliten. Tschechien engagiert sich in Syrien wie kaum ein anderer Staat, vor allem hier aus Mitteleuropa. Das reicht von Wiederaufbauprogrammen bis hin zur Zusammenarbeit mit dem syrischen Roten Halbmond in sonst nicht erreichbaren Regionen. Darum geht es, und deshalb dürfen wir von dort nicht weg. Denn Syrien ist ein säkulares Land und braucht Europa als Partner. Damit meine ich nicht die politische Führung des Landes, sondern die Menschen. Die wollen nicht, dass wir das Feld den Russen oder Iranern überlassen.“