Sprachkurse und Dialog: Tschechien bemüht sich mehr um Migranten

Illustrationsfoto: Europäische Kommission

Manche sind schon lange hier, andere erst vor kurzem angereist: Auch in Tschechien leben und arbeiten zahlreiche Migranten. Wie nehmen sie Tschechien aber wahr, welche Probleme haben sie im Alltag oder mit den Behörden? Und vor allem: Sind sie schon angekommen in Prag, Brünn oder Pilsen?

Illustrationsfoto: Europäische Kommission
Irgendwann in den 1990er Jahren ist Sanja Šarić nach Prag gekommen. In ihrer Heimat Bosnien tobte damals der Krieg, Prag war die erste Station der Familie außerhalb des ehemaligen Jugoslawien. Ihren Bruder zog es damals weiter nach Kanada und in die USA, Sanja Šarić selbst blieb an der Moldau, der Liebe wegen. Zwar zerbrach diese irgendwann, doch Prag hat sie nicht losgelassen. Die Bosnierin war eine der Migranten und Migrantinnen, die Anfang des Monats ihre Geschichte erzählten bei einem Runden Tisch im Rathaus des fünften Prager Stadtbezirks:

„Am Ende bin ich hier in Prag geblieben und habe hier auch einen Sohn zur Welt gebracht. Das heißt, einen ganz gelungenen Tschechen, der mittlerweile auch schon 18 Jahre alt ist. Mein Sohn fühlt sich als Tscheche, obwohl das manche hier nicht verstehen und ihn als Ausländer bezeichnen. Der bin ja ich, ich bin ja von irgendwoher gekommen und nicht er. Dass er sich auch als Tscheche fühlt, sieht man zum Beispiel auf der Straße. Da sagt er schon mal zu mir: Mama, sprich nicht so laut, lach doch ein bisschen leiser und frag nicht jeden auf der Straße nach irgendetwas.“

Jelena Silajdzic  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Die Leute aus dem Süden seien halt etwas lauter als die Menschen hier in Tschechien, fügt sie mit einem Lachen noch hinzu.

Organisiert hat den Runden Tisch der Verein Slovo 21. Seit fast zwanzig Jahren kümmert sich die Organisation um die Kommunikation zwischen Migranten, Minderheiten und Tschechen. Man konzentriere sich dabei auf das Zwischenmenschliche, beschreibt die Leiterin von Slovo21, Jelena Silajdzic, ihre Arbeit. Dabei geht es auch bei dieser Diskussionsrunde, zu der sowohl Migranten aus aller Herren Länder, als auch Vertreter von Ämtern und Politik gekommen sind.

Tschechien ist anders geworden

Wenzelsplatz  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Mit dem Zwischenmenschlichen hatte Sanja Šarić jedoch ihre Probleme, vor allem Mitte der 1990er Jahre, als sie noch nicht so lange in Prag war. Ein Mann beschimpfte sie damals wüst auf dem Wenzelsplatz und riet ihr, dorthin zurückzugehen, wo sie herkomme. So sei die Zeit damals halt gewesen, meint Sanja Šarić in einer ruhigeren Minute zwischen den Diskussionsrunden:

„In dieser Zeit sind noch weitere ähnliche Dinge passiert. Aber wir waren auch hellhöriger, was das angeht. Damals waren wir sehr empfindlich bei so etwas, da wir schlichtweg verloren waren in unserer Lage. Und auch unsere Erwartungen waren etwas zu hoch. Wenn jemand also gefragt hat, warum ich hier sei, war die Antwort für mich eigentlich klar: Ich bin nicht hier, weil ich das so wollte, sondern weil ich hier herkommen musste. Jetzt ist das anders, und meine Familie ist gerne hier, trotz des Herrn auf dem Wenzelsplatz und Ähnlichem. Naja, jetzt kann ich darüber eigentlich nur noch lachen.“

Heute sei es besser, meint Sanja Šarić mit einem Lächeln:

„Klar hat sich vieles geändert, sowohl bei den Tschechen, als auch bei uns selbst. Mein Sohn ist da das beste Beispiel für den Wandel. Er stellt eine neue Generation dar, in der immer mehr gemischte Kinder zur Welt kommen. Die sind dann weder reine Tschechen, reine Bosnier oder was auch immer. Und gerade diese Mischung sorgt dafür, dass die Menschen miteinander reden und sich kennenlernen. Der Mensch muss nämlich sein Gegenüber kennen, um nicht Angst vor dem anderen zu bekommen. Dann geht er auch nicht zum Angriff über.“

Kommunikation als Schlüssel zur Integration

Foto: Vendula Kosíková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Dem normalen Prager fällt eigentlich nicht mehr auf, wer fremd und wer einheimisch ist in seiner Stadt. Und das nicht nur wegen der Millionen Touristen, die Prag jedes Jahr besuchen. Es ist selbstverständlich geworden, seine Kaugummis beim Vietnamesen um die Ecke zu kaufen, sich bei der ukrainischen Frisörin die Haare schneiden zu lassen oder abends auf ein Glas Wein zum Griechen zu gehen. Und auch die Behörden begreifen die Migration immer mehr als Chance für Tschechien, wenn auch noch zaghaft. Der gute Wille ist jedoch da, zumindest bei der Verwaltung des fünften Prager Stadtbezirks. Vít Šolle (Christdemokraten) ist dort der stellvertretende Bürgermeister und für die Bildung in seinem Bezirk zuständig:

Vít Šolle  (Foto: Archiv von Prag 5)
„Ich denke, das Wichtigste ist, den Kindern in den Schulen bei der Integration zu helfen. Vor allem was die Sprachkenntnisse angeht. Wir müssen einfach unsere Nachbarn kennenlernen, auch hier im fünften Prager Stadtbezirk. Wir sollten uns gegenseitig vertrauen und auch die Angst voreinander verlieren. Das alles sollten wir versuchen, um ein gutes Zusammenleben zu ermöglichen.“

Ein Schritt in diese Richtung ist auch der Runde Tisch im Rathaus des Bezirks. Šolle sieht ihn vor allem als Chance für die Tschechen – und insbesondere auch für die politische Leitung der Stadt:

„Es ist gut für uns zu hören, warum die Migranten hier bei uns leben, warum sie gekommen sind und vor allem, wie es sich für sie bei uns lebt. Auch was sie für Probleme haben, können wir bei dieser Gelegenheit erfahren. Nur so können wir die richtigen Entscheidungen für die Zukunft treffen.“

Helena Dluhošová  (Foto: ČT24)
Konkrete Projekte zu Integration und Verständigung bestehen in Tschechien bereits seit dem Jahr 2000. Damals legte die Regierung einen Aktionsplan zum Umgang mit Migranten auf. Direkt an den bürokratischen Schalthebeln von Zuzug und Integration sitzt Helena Dluhošová. Sie arbeitet beim Amt für Asyl und Migration des tschechischen Innenministeriums und ist für Integrationsprojekte zuständig.

„Bei der Integration von Migranten legt das zuständige Innenministerium immer mehr Wert auf die Arbeit der Kreise und Gemeinden. Dazu hat das Ministerium ein Projekt für die Kommunen entwickelt. Dieses soll den Städten und Gemeinden helfen, Migranten in die Gesellschaft zu integrieren. Mit Integration ist dabei gemeint, das Zusammenleben von Tschechen und Migranten zu unterstützen. Das ist nötig, damit wir nicht nebeneinander, sondern miteinander leben.“

Doch wie sieht die Arbeit der Integrationsexperten konkret aus? Laut Helena Dluhošova kommt es auf verschiedene Bereiche in der Arbeit mit Migranten an:

„Wir vom Innenministerium helfen den Migranten mit unserer Fachkenntnis und Expertise. So sollen positive Beispiele entstehen. Einerseits konzentrieren wir uns auf die Kinder von Migranten im Schulleben oder auch außerhalb der Schulzeit, vor allem mit zusätzlichen Sprachkursen. Andererseits wollen wir auch die Kommunikation verbessern zwischen Eltern, Kindern und den Schulen. Wir finanzieren dazu teilweise die nötigen Dolmetscher und interkulturelle Sozialarbeiter. Das ist aber nur die eine Seite, da wir genauso mit der Mehrheitsgesellschaft arbeiten. Diese soll wissen, wer in ihrer Gemeinde lebt, man soll sich schlicht kennenlernen. Deshalb unterstützen wir auch informelle Treffen in den jeweiligen Städten und Bezirken.“

Die Bürokratie menschlicher machen

Prager Magistrat  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Der Prager Magistrat hat seit dem Jahr 2012 zusätzlich ein eigenes Konzept zur Integration von Migranten. Mit Unterstützung der Stadtverwaltung sind in den einzelnen Bezirken sogenannte Integrationszentren entstanden. Was genau ihre Aufgabe ist, erklärt beim Runden Tisch Ekatarina Romančenková. Sie ist die Leiterin des Integrationszentrums im 13. Prager Stadtbezirk:

„Wie schon unser Name sagt, helfen wir hier in Prag den Migranten, sich in die tschechische Gesellschaft zu integrieren. Wir unterstützen sie dabei, selbständig zu werden und immer informiert zu sein, was ihre Rechte und Pflichten hier sind.“

Die Integrationszentren arbeiten eng mit den Behörden zusammen und bieten Migranten besonders in diesem Bereich auch rechtliche Beratung. Die Arbeit des Zentrums geht aber noch weiter. Die Teams in den Prager Stadtbezirken wollen bewusst auch die Grenzen sprengen zwischen Tschechen und Migranten und die beiden Gruppen bei verschiedenen Aktionen zusammenführen. Zumindest bei den Migranten selbst habe das Zentrum Erfolg, meint Ekatarina Romančenková.

Trotz aller Bemühungen von Seiten der Behörden stellt aber vor allem die tschechische Bürokratie ein großes Problem für jemanden dar, der frisch ins Land gekommen ist. Auch Sanja Šarić hat damit ihre Erfahrungen gemacht. Zwar hat sie mit der Bürokratie an sich keine Schwierigkeiten mehr, sie spricht mittlerweile ausgezeichnet Tschechisch. Etwas anderes stört sie an den Ämtern:

„Der tschechischen Bürokratie fehlt vor allem eine Sache, so wie ich es erlebt habe: die Empathie. Meiner Meinung nach müsste man gerade an dieser Empathie noch arbeiten.“

Mit genug Empathie würden die Menschen auch die Angst voreinander verlieren, meint Sanja Šarić, wieder mit einem Lächeln.