„Erstmals könnten Populisten an die Macht kommen“ – Politologe Pehe über Tschechien 2017

Jiří Pehe

Es war ein teils nervenzehrendes Jahr in Europa. Erstaunlich aber, dass die politische Landschaft in Tschechien relativ stabil geblieben ist. Die Mitte-Links-Koalition des Sozialdemokraten Bohuslav Sobotka befindet sich weiter im Amt. Allerdings haben sich währenddessen die Populisten immer stärker zu erkennen gegeben, allen voran Staatspräsident Miloš Zeman und Vizepremier Andrej Babiš (Partei Ano). Die Blicke sind deswegen auf die Parlamentswahlen im Jahr 2017 beziehungsweise auf die Direktwahl des Staatspräsidenten Anfang 2018 gerichtet. Zu den Beobachtern gehört auch Jiří Pehe von der New York University in Prag. Im Folgenden ein Interview mit dem Politologen.

Jiří Pehe | Foto: Jana Trpišovská,  Tschechischer Rundfunk
Herr Pehe, Tschechien hat nach vielen Jahren erstmals wieder eine Regierung, die wohl die gesamte Legislaturperiode durchhält. Warum ist die Regierung Sobotka vergleichsweise stabil?

„Ich denke, weil sich mathematisch keine Alternative bietet. Denn nach den letzten Wahlen war keine andere Mehrheitskoalition möglich. Zugleich waren die Animositäten zwischen den Sozialdemokraten beziehungsweise der Partei Ano und den früheren konservativen Regierungsparteien so groß, dass dort keine Koalition entstehen konnte. Deswegen besteht die Regierung aus Sozialdemokraten, Partei Ano und Christdemokraten. Und sie hält zusammen, weil sich alle Parlamentsparteien auch vor Staatspräsident Zeman fürchten. Falls die Regierungskoalition auseinanderbräche, wäre der Präsident am Zug. Und Zeman hat vor Antritt des aktuellen Kabinetts bereits gezeigt, was das heißt. Er hat eine Interimsregierung benannt, der aber dann das Parlament nicht das Vertrauen ausgesprochen hat. Trotzdem hat Miloš Zeman dieses sogenannte Expertenkabinett im Amt gehalten. Er hat also versucht, die Regeln der parlamentarischen Demokratie zu umgehen. Die Angst vor einer Wiederholung ist so groß, dass die Regierungskoalition lieber bis zum Ende der Legislaturperiode zusammenhält.“

Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Im kommenden Jahr stehen hierzulande Parlamentswahlen an, zudem startet der Wahlkampf um das Präsidentenamt. Würden Sie zustimmen, dass die Wahlen voraussichtlich 2017 die Politik in Tschechien prägen werden?

„Beide Wahlen werden sehr wichtig sein. Es geht um einen möglichen Bruch in der tschechischen Politik. Mit der Partei Ano könnten erstmals Populisten an die Macht kommen, die sich nicht an die traditionellen Regeln der Demokratie halten. Wenn sie im Tandem mit Präsident Zeman an der Macht sind, vorausgesetzt dieser verteidigt sein Mandat, dann käme es zu einer gewissen Verschiebung in der Politik. Und die hat in Tschechien, anders als in anderen Visegrad-Ländern, bisher noch keinen Einzug gehalten. Vielleicht kommt es sogar zu Versuchen, irgendwie die liberale Demokratie zu beschränken. Wir werden sehen, wie welche Partei auf die Wahlen vorbereitet sein wird. Bisher sieht es danach aus, als könnte die Partei Ano siegen. Aber es ist noch ein knappes Jahr bis zu den Parlamentswahlen, und da kann viel geschehen.“

Andrej Babiš  (Foto: Martin Svozílek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Sie haben ja die Partei Ano schon erwähnt. In den USA hat Donald Trump gesiegt, in Frankreich könnte Marine Le Pen die nächste Präsidentin werden. Inwieweit lässt sich Ano-Chef Andrej Babiš in diese Reihe stellen?

„Andrej Babiš ist ein bestimmtes Phänomen, aber er ist nicht aus demselben Holz geschnitzt wie Donald Trump oder Marine Le Pen. Er ist der oligarchische Typ eines Populisten. Das heißt, wenn es ihm sinnvoll erscheint, dann äußert er sich nationalistisch – etwa in Bezug auf Flüchtlinge und den Schutz der Grenzen. Auf der anderen Seite braucht er die Europäische Union. Er würde sich niemals an die Spitze einer Bewegung für einen EU-Austritt und für isolationistische Politik stellen. Denn für seine unternehmerische Tätigkeit, die weit über die Landesgrenzen hinausreicht, ist er auf die EU angewiesen.“

Bohuslav Sobotka  (Foto: Archiv des Regierungsamtes der Tschechischen Republik)
Babišs vermeintlicher Gegenspieler ist bisher Premier Bohuslav Sobotka. In welcher Position sehen sie Sobotka in seiner eigenen Partei, den Sozialdemokraten?

„Bohuslav Sobotka steckt derzeit nicht in der besten Lage. Er muss sich nach den Verlusten bei den Regionalwahlen vom Oktober dem Druck seiner parteiinternen Gegner erwehren. Das Problem Sobotkas ist, dass er bisher noch kein Rezept gefunden hat, um der Partei Ano von Andrej Babiš Paroli zu bieten. Die Regierung ist erfolgreich, sie kann gute Wirtschaftsergebnisse vorweisen. In der Öffentlichkeit wird das aber so verbucht, als wäre dies ein Erfolg von Ano. Babiš gelingt es gut, sich die Erfolge der Regierung ans eigene Revers zu heften. Und Sobotka wird dadurch gestört, dass mindestens vier oder fünf Gruppen innerhalb der Sozialdemokraten jeweils eigene Vorstellungen von der Zukunft der Partei haben. Die ČSSD ist keine klassische sozialdemokratische Partei wie die Schwestern zum Beispiel in Deutschland oder Österreich. Sie entstand in den 1990er Jahren aus mehreren linken Bewegungen, von den Volkssozialisten bis zu postkommunistischen Zusammenschlüssen. Bis heute ist zu sehen, dass sich dieses unterschiedliche Gedankengut gehalten hat. Die Sozialdemokraten zu einen ist für Sobotka schwierig. Allerdings hat er in gewissem Maße die richtige Richtung eingeschlagen, indem er nach außen eine stärkere Hinwendung zu linkspolitischen Themen zeigt. Wie etwa zur progressiven Besteuerung. Das ist einer der möglichen Wege, um sich von der Partei Ano abzusetzen und zu zeigen: ‚Wir haben immer noch unsere eigene sozialdemokratische Identität‘.“

Jiří Paroubek  (Foto: Archiv des Regierungsamtes der Tschechischen Republik)
Würden Sie denn sagen, dass Bohuslav Sobotka ein eher schwacher Premier ist? Oder ist er im Vergleich mit anderen doch recht gut, weil er ja schließlich die Regierung zusammenhält?

„Bohuslav Sobotka ist nicht der Typ ‚charismatischer Politiker‘. Das ist sein Nachteil. Leider regiert er aber in einem Land, in dem eine bestimmte Art politischer Unflätigkeit verlangt wird. In Tschechien beschweren sich zwar viele Menschen darüber, wie sich die Politiker verhalten. Trotzdem zeigt sich immer wieder, dass diejenigen Politiker am beliebtesten sind, die sich etwas unflätig benehmen. Das lässt sich bei Staatspräsident Zeman und bei Babiš beobachten. Sobotka ist fast schon eine Ausnahme, da er im Grunde als anständiger Mensch auftritt. Im realen Politbetrieb kann dies aber zu einem Handicap werden – und besonders in einer Partei, die von inneren Streitigkeiten gezeichnet ist. Da braucht es eher jemanden wie die früheren Premierminister Jiří Paroubek oder Miloš Zeman, der auf den Tisch hauen kann und dann die Leute hinter sich sammelt. Auf der anderen Seite hat Bohuslav Sobotka mit seiner zurückhaltenden Art immer die notwendigen Kompromisse aushandeln können. Er hat mehrmals die Regierungskoalition aus der Krise navigiert. Vielleicht ist es für ein Urteil zu früh, und man sollte besser abwarten, wie die Wahlen ausgehen. Vielleicht erkennen die Wähler letztlich das an, wenn die Regierung auch die verbleibenden zehn Monate ohne größere Erschütterungen, etwa auch wirtschaftlicher Art, übersteht.“

Miloš Zeman  (Foto: ČT24)
Über Präsident Zeman haben wir schon gesprochen. Er könnte eine zweite Amtszeit anstreben, hat sich dazu aber noch nicht definitiv geäußert. Aus welchen Lagern sehen Sie Unterstützung für ihn?

„Miloš Zeman sammelt hinter sich das, was ich als postkommunistisches Segment der Gesellschaft bezeichne. Die Gesellschaft hierzulande teilt sich, wie die aller anderen postkommunistischen Länder, ganz grob in zwei Gruppen. Diejenige Hälfte, die Zeman anspricht, besteht aus Menschen, die dem früheren kommunistischen Regime nachtrauern, die irgendwie unzufrieden sind mit dem neuen System oder sich durch die Globalisierung bedroht fühlen. Sie stammen, wie Zeman richtig einschätzt, nicht aus den intellektuellen Schichten des sogenannten ‚Prager Kaffeehauses‘. Zeman hat diesen Begriff sogar zum politischen Kampfbegriff erhoben: das ‚Prager Kaffeehaus‘ gegen den Rest der Gesellschaft. In jedem Fall sind es genau jene Leute, die auch Viktor Orban in Ungarn oder Jarosław Kaczynski in Polen unterstützen. Es handelt sich meist um ältere Menschen, die in der Provinz leben, im Grunde konservativ sind und sich vor Veränderungen in der Welt fürchten. Sie wollen zurück in die Geborgenheit eines kommunistischen Staates, oder glauben zumindest, dass man sich vor den Herausforderungen der Globalisierung in den Grenzen eines Nationalstaates unter der Leitung eines starken Anführers verstecken kann.“

Milan Chovanec  (Foto: Martin Svozílek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Und vonseiten der Parteien: Wer würde oder könnte Zeman unterstützen?

„Zeman steht etwas abseits des Hauptstroms der Parteien. Mir scheint, dass sich Miloš Zeman in letzter Zeit immer stärker um Andrej Babiš als Verbündeten bemüht. Und das wohl aus den ernsthaften Überlegungen heraus, noch einmal für das Amt des Präsidenten zu kandidieren. Wenn die Partei Ano keinen eigenen Kandidaten zur Direktwahl des Präsidenten ins Rennen schickt, könnte sie Zeman ihre Unterstützung aussprechen. Damit käme Zeman mit großer Sicherheit zumindest in die Stichwahl. Allerdings dürfte dem Präsidenten nicht so sehr in die Karten spielen, dass er sich damit zugleich der Sozialdemokraten entfremdet. Dies sind besonders die Leute rund um Innenminister und Partei-Vize Milan Chovanec, die bereits verlautbart haben, dass man über alle Kränkungen hinwegsehen und Zeman unterstützen sollte. Die sagen natürlich jetzt, dass man sich nicht für Zeman ins Zeug legen werde, wenn er offen mit der Partei Ano paktiert. Das heißt, Miloš Zeman spielt ein ziemlich riskantes Spiel. Letztlich wird es darauf ankommen, welche Trümpfe er zieht.“