„Die Antwort auf unruhige Zeiten lautet: Europa“

Konferenz (Foto: Martina Schneibergová)

Bei einer Konferenz in Prag diskutieren Tschechen und Deutsche über die jeweilige Wahrnehmung der Lage in Europa.

Konferenz  (Foto: Martina Schneibergová)
Die Ursachen des Populismus in Tschechien, aber auch in anderen Ländern, oder das Engagement der Christen für Europa. Über diese und weitere Themen haben die Teilnehmer einer tschechisch-deutschen Konferenz diskutiert, die vor kurzem in Prag stattfand.

Rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen bei der Konferenz in Prag zusammen. Veranstaltet wurde sie von der tschechischen Schwesterorganisation der sudetendeutschen christlich orientierten Ackermann-Gemeinde. Das Thema lautete „Die politische (Un)ruhe im gegenwärtigen Europa? Tschechische und deutsche Wahrnehmungen“. An der Eröffnung der Konferenz nahm auch der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert teil. „Die Europäische Union ist die intelligenteste Antwort auf die Veränderungen des 21. Jahrhunderts“, unterstrich er in seiner Rede. Professor Tomáš Halík ist Religionsphilosoph und Priester. Er ging in seinem Referat auf den neuen Populismus ein:

Tomáš Halík  (Foto: Martina Schneibergová)
„Der neue Populismus ist keine mitteleuropäische, sondern eine globale Erscheinung. Ein Gespenst geht in Europa um. Es ist jedoch nicht das Gespenst des Kommunismus, auch wenn es mit dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus einige gemeinsame Merkmale hat. Der Populismus wird von Anhängern totalitärer Ideologien unterstützt. Obwohl die Populisten ihre größten Erfolge in den ehemaligen Ostblockländern verzeichnen, sind auch Staaten mit einer langen, ununterbrochenen demokratischen Tradition nicht gegen diese Ansteckungsgefahr immun. Erinnern wir uns an den Brexit oder die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten.“

Eine machtpolitische Förderung erhalte der Populismus durch das autoritäre System von Putin, meint Halík. Der russische Präsident führe einen Informationskrieg gegen den Westen, um das Vertrauen in die EU und zueinander zu zerstören. Laut dem Theologen baut der Populismus auf einer „Krise der Identität“ auf. Die aktuelle Angst vor dem Verlust der Identität verrate, dass es eine Identität schon lange nicht mehr gebe, so Halík. Er sieht auch im unkritischen Verhalten von Kirchenvertretern gegenüber den Machthabern eine Gefahr. Die Gesellschaften und auch die Kirchen stünden am Beginn einer neuen Phase, die Zeit der Moderne sei abgeschlossen, sagte der Religionsphilosoph.

Papst Franziskus  (Foto: Archiv der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile,  CC BY-SA 2.0)
„Mit Papst Franziskus beginnt ein neues Kapitel der Geschichte des Christentums. Die Kirche muss auf eine neue Ära der radikalen Pluralität einer globalen Welt reagieren. Die wichtigste Reform muss sich in der Mentalität der Christen abspielen. Der Papst ist zum Zeichen der Hoffnung geworden, dass eine derartige Reform möglich ist.“

Halík baut seine Hoffnung auf eine „öffentliche Theologie“, die fähig sein solle, auch in einer säkularen Öffentlichkeit ihre Standpunkte zu vertreten.

Petr Křížek ist stellvertretender Vorsitzender der tschechischen Ackermann-Gemeinde. Aus Halíks Gedanken hob er einen Aspekt hervor:

„Professor Halík hat darauf hingewiesen, dass die Spaltung der Gesellschaft nicht nur ein tschechisches Problem ist, sondern ein gesamteuropäisches und grenzüberschreitendes, wenn wir auf Amerika blicken. Es gibt jedoch wesentliche Unterschiede, wie mit dieser Spaltung beispielsweise in der tschechischen und deutschen Gesellschaft umgegangen wird. Professor Halík sagt, dass bei allen Unterschieden und aller Spaltung in der deutschen Gesellschaft eine bestimmte Streitkultur vorherrscht, die zwar die Meinung des anderen nicht unbedingt akzeptieren muss, aber die den anderen als Menschen akzeptiert. Diese Streitkultur ist leider in Folge der geschichtlichen Entwicklung hierzulande nicht so entwickelt. In der Folge wird jemand, der eine andere Meinung hat, nicht als Partner im Gespräch, sondern als Feind gesehen.“

Foto: Archiv der tschechischen Ackermann-Gemeinde
Viele deutsche Teilnehmer fanden vor allem die Erkenntnisse über die jüngste Entwicklung in Tschechien interessant. So auch Werner Tampe aus Ettlingen, der dies im Interview bestätigt:

Was fanden Sie an dieser Konferenz am spannendsten?

„Für mich war die ganze Veranstaltung neu. Ich habe zum ersten Mal die Möglichkeit gehabt, hieran teilzunehmen, und meine Erwartungen sind in jeder Weise übertroffen worden. Das gilt sowohl für die Teilnehmerzahl als auch für die offene Atmosphäre. Vor allem gefallen haben mir die Referate und die Referenten, die sich in großer Tiefe und Offenheit mit den anstehenden Problemen befasst haben – mit Problemen, die uns eigentlich alle bewegen.“

Eines dieser Probleme ist vermutlich der neue Populismus. Waren die Informationen für Sie neu?

Johannes von Nepomuk  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
„Es hat mich überrascht und beeindruckt, mit welch großem Elan die Zivilgesellschaft in der Tschechischen Republik in den Wahlkampf hier eingegriffen und Position bezogen hat. Das war mir neu. Das habe ich aus der Presse so nicht erfahren. Einzelne Diskussionsbeiträge haben dies jedoch zur Sprache gebracht.“

Aber Sie selbst sind schon seit vielen Jahren mit Tschechien in Kontakt, vor allem mit der Diözese Pilsen…

„Wir haben mit Katholiken der Diözese Pilsen seit ihrer Gründung eine Partnerschaft – wir, das ist die Ackermann-Gemeinde der Erzdiözese Freiburg. Und wir treffen uns jährlich ein paar Mal in Pilsen und Freiburg, wo wir gemeinsam diskutieren und uns Referate anhören. Jedes Jahr kommen wir auch in Ettlingen bei Karlsruhe zu einem besonderen Ereignis zusammen, der sogenannten Nepomuk-Feier, also zu einer Feier zu Ehren von Johannes von Nepomuk. Dazu besuchen uns regelmäßig Freunde und Freundinnen aus Pilsen, die dann in Familien der Ackermann-Gemeinde untergebracht werden.“