Auf dem Weg zurück in die Mitte Europas

Foto: Archiv des Regierungsamtes der Tschechischen Republik

Tschechien und die Europäische Union, das war über Jahre hinweg ein schwieriges Verhältnis. Doch Staatspräsident Miloš Zeman setzte bereits vor einem Jahr zur Trendwende an. Mit der neuen Regierung soll diese Wende nun endgültig vollzogen werden.

Foto: Archiv des Präsidentenbüros
Vor elf Monaten gab es Pfiffe: Als der neugewählte Staatspräsident Zeman im April vergangenen Jahres an seinem Amtssitz die europäische Flagge hissen ließ, hatten sich einige nationalkonservative Tschechen zum Protest versammelt. Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso wurde Zeuge dieser Störung, doch die Vertreter der Europäischen Union haben in den vergangenen Jahren wahrlich Unangenehmeres aus Tschechien erlebt.

Zum Beispiel hatte Zemans Vorgänger Václav Klaus im Jahr 2009 eine Rede im Europaparlament gehalten, die für überzeugte Europäer einem Skandal gleichkam. So rückte er die EU und das Parlament in die Nähe des totalitären kommunistischen Regimes. Derselbe Klaus setzte durch, dass für Tschechien die EU-Grundrechte-Charta nur in Teilen gilt. Die konservative Regierung Nečas wiederum weigerte sich, den EU-Fiskalpakt zu unterschreiben. Kurz und gut, Tschechien hatte sich zuletzt immer wieder auf die Seite der europaskeptischen Briten geschlagen.

Bohuslav Sobotka und José Manuel Barroso  (Foto: ČTK)
Seit vergangener Woche ist nun die Mitte-Links-Regierung des Sozialdemokraten Bohuslav Sobotka endgültig bestätigt. Und als erstes fuhr der neue tschechische Premier nicht wie seine Vorgänger ins Nachbarland Slowakei, sondern nach Brüssel. Eine symbolische Reise, wie auch Kommissionspräsident Barroso nach seinem Treffen mit Sobotka gegenüber Journalisten anmerkte:

„Es ist meiner Meinung nach ein wichtiges Signal, dass er die Europäische Kommission nur zwei Tage nach der Vertrauensabstimmung im tschechischen Abgeordnetenhaus besucht. Ich denke, dass Sobotkas Amtsübernahme einen Neustart bedeutet. Er und seine Regierung drücken den Reset-Knopf an mehreren Fronten, und auch in den Beziehungen zur Europäischen Union. Die Tschechische Republik kehrt zurück zu ihrer Rolle als aktives Mitglied unserer europäischen Familie.“

Václav Klaus  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Zehn Jahre lang hatte das europaskeptische Staatsoberhaupt Václav Klaus das Verhältnis zur Europäischen Union geprägt, und sieben Jahre lang wurde er sekundiert von ähnlich denkenden Premierministern.

Die neue Dreierkoalition in Prag aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und der Partei Ano von Milliardär Andrej Babiš hat sich aber für einen Wandel dieser Beziehungen ausgesprochen. Deswegen startete sie bereits bei der ersten Regierungssitzung am Mittwoch vergangener Woche die Diskussion über einen Beitritt Tschechiens zum EU-Fiskalpakt. Dieser sogenannte „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ wurde eigentlich nur zwischen jenen Ländern geschlossen, die den Euro bereits eingeführt hatten. Die Euro-Zone reagierte damit auf die Schuldenkrise und legte sich mehr Haushaltsdisziplin auf, inklusive Sanktionsmechanismen, die wirksam werden, wenn die geforderte Schuldengrenze überschritten wird.

Foto: Europäische Kommission
Für die EU-Länder mit eigener Währung gelten diese Regeln nicht, dennoch haben alle von ihnen außer Tschechien und Großbritannien den Fiskalpakt ratifiziert. Dies wurde in Brüssel als Beweis der Solidarität in Krisenzeiten gewertet. Entsprechend äußerte sich auch Premier Sobotka nach der Kabinettssitzung in der vergangenen Woche:

„Dass die Regierung nun die Diskussion über einen Beitritt zum Fiskalpakt gestartet hat, sehe ich als Änderung des Europa-Kurses in Tschechien. Wir drücken damit unseren Willen aus, an allen Diskussionen innerhalb der EU über die Zukunft der europäischen Integration teilzunehmen. Es ist ein Ausdruck des Wunsches, dass Tschechien nicht weiter von außen zuschaut und aus seiner Isolation heraustritt. Denn es haben sich auch andere Länder mit eigener Währung dem Pakt angeschlossen, wie Polen, Ungarn, Schweden und Litauen. Die Tschechische Republik will das in derselben Weise tun, wie die genannten Staaten.“

Staaten,  die den Euro angenommen haben
Die Diskussion über den Beitritt soll darin münden, dass in zwei Monaten der Ratifikationsprozess aufgenommen wird. Aber auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags wird Tschechien erst einmal weder zur vertraglich geforderten Haushaltsdisziplin noch zur Einführung einer Schuldenbremse gezwungen sein. Noch einmal Sobotka:

„Wir wollen uns dem Pakt in der Weise anschließen, dass die Regeln für die Haushaltspolitik erst in Kraft treten, wenn die Tschechische Republik den Euro annimmt. Der Beitritt wird also zunächst keinerlei Auswirkungen auf unsere Haushalts- und Wirtschaftspolitik haben, und die Artikel drei und vier des Vertrags würden erst bei der Einführung der Gemeinschaftswährung in Kraft treten.“

Andrej Babiš  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
In Brüssel erläuterte Sobotka dann am Donnerstag, welche Bedeutung er der Annahme des Fiskalpaktes beimisst:

„Die tschechische Regierung sieht die Entscheidung darüber, den Ratifikationsprozess zu starten, als einen der Schritte zur Annahme der Gemeinschaftswährung. Das heißt, die tschechische Regierung demonstriert damit, dass sie den Weg einschlägt, um in den kommenden Jahren den Euro einzuführen.“

Was Sobotka indes nicht sagte: Innerhalb des Kabinetts bestehen unterschiedliche Ansichten, wie schnell der Euro die Krone ablösen sollte und könnte. Finanzminister und Ano-Chef Babiš hegt Ängste, dass dieser Schritt die Exportindustrien schädigen könnte und scheint erst einmal abwarten zu wollen. Außenminister Lubomír Zaorálek sagte hingegen, er wünsche sich den Euro so schnell wie möglich.

Foto: Archiv Radio Prag
Die neue tschechische Regierung will aber auch noch ein weiteres Relikt des Klaus´schen Euroskeptizismus beseitigen: die Ausnahmeregelung für Tschechien bei der EU-Grundrechte-Charta. 2009 hatte sich der damalige tschechische Staatspräsident monatelang geweigert, den Lissabon-Vertrag zu unterzeichnen. Dann machte er zur Bedingung, dass Tschechien eine Ausnahmeklausel erhält. Václav Klaus begründete dies damit, dass die Grundrechte-Charta den Sudetendeutschen die Möglichkeit bieten könnte, vor internationalen Gerichten auf Rückgabe ihres früheren Eigentums auf tschechischem Boden zu klagen. Tschechische Verfassungsjuristen widersprachen zwar den Befürchtungen von Klaus, doch dieser blieb stur - und die Europäische Union kam seinem Wunsch nach.

Martin Schulz  (Foto: Archiv des EU-Parlaments)
Die neue tschechische Regierung hält aber genauso wie der aktuelle Präsident Zeman die Ausnahmeklausel für obsolet. Sie will vielmehr, dass die Charta in vollem Umfang auch für tschechische Bürger gilt. Dies kam auch beim Treffen von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz mit Premier Sobotka zur Sprache. Schulz lobte wie zuvor Barroso den neuen Europa-Kurs seines sozialdemokratischen Parteifreundes:

„Bohuslav Sobotka und ich kennen uns bereits seit geraumer Zeit, aber wir begegnen uns heute zum ersten Mal institutionell. Und ich möchte mich bedanken im Namen des Europäischen Parlaments bei der neuen Regierung für die Entscheidungen, die jetzt getroffen worden sind und die ganz eindeutig eine neue Richtung der Tschechischen Republik in der Europa-Politik darstellen. Die Entscheidung zur Grundrechte-Charta ist ein ermutigendes Zeichen für die Zusammenarbeit zwischen dem Europaparlament und der Regierung in Prag.“

Europäisches Parlament in Straßburg  (Foto: Dominika Bernáthová)
Nach Premier Bohuslav Sobotka fährt im Übrigen diese Woche der tschechische Präsident Miloš Zeman nach Straßburg. Er war vor einer Weile schon vom Europäischen Parlament eingeladen worden und wird am Mittwoch vor den Abgeordneten eine Rede halten.

„Wir freuen uns, dass der tschechische Präsident jetzt diese Einladung angenommen hat. Und ich sehe der Rede von Zeman im Plenum mit Freude entgegen“, so Schulz.

Miloš Zeman hat sich bei seinem Amtsantritt als überzeugten „Euro-Föderalisten“ bezeichnet. Es dürfte also zu keinem Eklat kommen wie bei der Rede seines Vorgängers Klaus.