Aus Brünn in die Welt: Der Traum des Architekten

Ondřej Chybík (Foto: YouTube)

Jung, ambitioniert, selbstbewusst, weltoffen und erfolgreich – alles das trifft auf Ondřej Chybík (32) zu. Schon als Kind wollte er Architekt werden. Heute wird er in seinem Fach geschätzt und ist gefragt, und das sowohl im In- wie im Ausland. Wie es dazu kam, weiß Jitka Mládková. Sie hat Chybík getroffen.

Ondřej Chybík  (Foto: YouTube)
Beim gebürtigen Brünner Ondřej Chybík hat sich das Sprichwort bewahrheitet, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. Seine Eltern haben Bauingenieurswesen an der Technischen Hochschule im südmährischen Brno / Brünn studiert. Ein ausschlaggebender Faktor für Chybíks künftige Berufswahl war, dass sein Vater ab Mitte der 1990er Jahre an der Uni in dem Fach zu unterrichten begann:

„Für mich war das ein starker Impuls. Ich war elf Jahre alt und besuchte oft meinen Vater in seinem Büro. Die Hochschule hat mich buchstäblich fasziniert. Überall sah ich Studenten, die etwas zeichneten oder interessante Modelle erschufen. Vielleicht wurde mir damals bereits bewusst, worin die Bedeutung des Architektenberufs besteht. Das heißt, aus etwas Funktionslosem oder nicht so Schönem das Gegenteil zu machen. Zu Beginn meiner Pubertät hat mich gerade die Beziehung zu meinem Vater und der Fakultät für Bauingenieurswesen dermaßen beeinflusst, dass ich an keinen anderen Beruf mehr einen Gedanken verschwendet habe.“

„Kritzeleien“  (Illustrationsfoto: infomatique on Foter.com / CC BY-SA)
Für einen Architekten ist es wichtig, gut zeichnen zu können. Auf diesem Gebiet übte sich Ondřej Chybík schon sehr früh. Mit sechs Jahren begann er eine Kunstschule für Kinder zu besuchen. Großen Spaß habe ihm zwar auch der Sport gemacht, doch seine Vorliebe für das Zeichnen sei offensichtlich besonders ausgeprägt gewesen, sagt Chybík. Im Gespräch für Radio Prag erinnert er sich nach rund 25 Jahren auch an eine Begebenheit: Einmal habe er einen Tadel des Klassenlehrers für seine „Kritzeleien“ auf der Schulbank erhalten.

„Kritzeleien“ auf der Schulbank

Michal Krištof  (Foto: YouTube Kanal von EARCH.TV)
Nach dem Abitur an einer Höheren Technischen Lehranstalt (HTL) studierte Chybík Architektur in Brünn. Ihm zufolge war es eine Art Rückkehr in seine Kindheit. An der Hochschule lernte er einen slowakischen Kommilitonen kennen, Michal Krištof. Heute sind sie Partner im gemeinsamen Architekturbüro, doch das hatte sich zunächst gar nicht angedeutet:

„Eine ganze Zeitlang waren wir nicht Freunde, sondern eher Rivalen. Eines hatten wir aber gemeinsam: Wir haben das Studium als Pflicht angesehen, um später das machen zu können, was uns Spaß machte. Gleich ab dem ersten Studienjahr begann jeder von uns bereits, an Architekturwettbewerben teilzunehmen. Damals gab es hierzulande nicht viele Studenten, die wie wir an jedem Wettbewerb teilnahmen und die Mehrheit davon entweder gewannen oder aber zumindest eine Auszeichnung erhielten. Im Verlauf meines siebenjährigen Studiums war es aber witzig zu sehen, dass wir abwechselnd die Siege errangen. Die Preise bedeuteten für uns auch eine Art Nebenverdienst. Für erfolgreiche Projekte gewann ich viel Geld. Im Durchschnitt kam ich auf rund eintausend Euro pro Monat – eine stattliche Summe für einen Studenten.“

Beide angehenden Architekten legten auch Auslandssemester ein. Michal Krištof studierte im belgischen Gent und machte nachfolgend ein Praktikum im renommierten Architekturbüro Bjarke Ingels Group in Kopenhagen. Ondřej Chybík studierte zunächst in Graz. Das Praktikum machte er dann bei „PPAG – Poduschka Popelka Architects“ in Wien. Sein Studium verlängerte sich deshalb um ein Jahr.

Graz  (Foto: Ralf Roletschek,  CC BY-NC-ND 3.0)
„Ich ging zum ersten Mal für Längeres ins Ausland. Auch wenn es Österreich war, also ein Nachbarland mit ähnlicher Kultur, musste ich die elementare Angst vor dem Unbekannten bewältigen. In Graz traf ich eine Menge Erasmus-Studenten und habe bis heute daher viele Freunde in ganz Europa. Deswegen haben mein Kollege Krištof und ich auch kein Problem, von einem globalen Architekturstudio zu träumen und diesem Traum nachzugehen. Bei meinem Aufenthalt in Wien begriff ich, dass unser Beruf keine One-Man-Show sein kann. Wenn man erfolgreich sein will, braucht man ein Team. Die Zusammenarbeit muss aber gelernt werden. Dieselbe Erfahrung hat auch Michal Krištof gemacht.“

Erst Rivalen, dann Partner

Tschechischer Pavillon für die Weltausstellung Expo 2015 in Mailand  (Foto: Dominika Bernáthová)
Nach ihrer Rückkehr aus dem Ausland beschlossen sie, ihr Potenzial bei gegenseitigem Respekt zu bündeln. Im Rahmen der abschließenden Diplomarbeiten gewannen sie zum ersten Mal einen Wettbewerb gemeinsam. Es handelte sich um ein großes Projekt für ein Wohnhaus an einem See in Bratislava. Dieser Erfolg und das Preisgeld bestärkten beide, gleich nach der Uni gemeinsam ein Geschäft aufzubauen. 2010 gründeten sie das Architekturbüro „Chybik+Kristof architects & urban designers“.

Fünf Jahre später errangen der damals 27-jährige Chybík und sein ein Jahr jüngerer Kollege Krištof einen großen internationalen Erfolg: Sie entwarfen den später hochgelobten tschechischen Pavillon für die Weltausstellung Expo 2015 in Mailand. Chybík zufolge tüftelten sie zwei Jahre lang an den Plänen und hatten das Gefühl, 20 Jahre älter geworden zu sein. Der Pavillon wurde aus speziellen Wohncontainern wie aus Lego-Steinen zusammengesetzt. Dies geschah in Zusammenarbeit mit einer Firma aus dem mährischen Vizovice, die Container herstellt.

„Der Vorteil des Systems bestand darin, dass das Betonieren der Fundamente in Mailand und die Herstellung der Containerbauteile hierzulande quasi parallel laufen konnten. Praktisch war auch, dass man die fertigen Container demontieren konnte. Sie wurden auf Schwerlastern nach Mailand transportiert und dort in Gestalt einer weißen Schachtel zusammenmontiert. Einige tschechische Architekten beziehungsweise Architekturtheoretiker bezeichneten unser Projekt als gewöhnlich, langweilig oder durchschnittlich. Etwa im Sinne: ‚Da haben sich die Tschechen ja wieder einmal gezeigt.‘ Uns ging es aber nicht um einen Wow-Effekt. Unseren Pavillon haben wir so konzipiert, dass man problemlos hineingelangen und ebenso leicht wieder herauskommen konnte. Damit wollten wir angesichts der Hitze die üblichen Menschenschlangen vermeiden. Und die Besucherzahlen bei uns gehörten zu den höchsten der Expo. Ein angrenzendes Wasserbecken bildete zudem einen angenehmen Treffpunkt, und Kinder aus der ganzen Welt konnten dort gemeinsam planschen und spielen.“

Tschechischer Pavillon für die Weltausstellung Expo 2015 in Mailand  (Foto: Archiv Expo 2015)
Das Element des Wassers hatte laut Chybík aber noch einen weiteren Aspekt: Es sollte das „Dach Europas“ symbolisieren. So nennen Fachleute das Gebiet Tschechiens, weil hier die sogenannte Europäische Hauptwasserscheide durchläuft und praktisch alle Flüsse von hier wegfließen. Der tschechische Pavillon wurde letztlich von der internationalen Jury der Expo mit der Bronzemedaille belohnt. Darüber hinaus erhielt er die Auszeichnung für das besucherfreundlichste Gebäude der Weltausstellung in Mailand.

Tschechischer Expo-Pavillon

Diesen Erfolg hält das Architektenduo Chybík / Krištof allerdings noch nicht für den Höhepunkt seiner professionellen Laufbahn. Vielmehr sei es ein bedeutender Schritt, der ihnen die Tür zur Welt geöffnet habe. Chybík hat inzwischen einen nächsten wichtigen Schritt getan. Für ein Jahr stieg er aus dem Büro aus, um ein selbstfinanziertes Postgraduiertenstudium an der „Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich“ (ETH Zürich) zu absolvieren. Die ETH Zürich zählt zu den zehn besten Universitäten der Welt.

„Im Rahmen des Studienaufenthalts habe ich je ein Semester in Indien und eins in Afghanistan zugebracht. Es ging um Forschungen zu Formen des Sozialbaus zum Beispiel in Bombay, Ahmedabad oder Rio de Janeiro. Damals habe ich begriffen, wie einzigartig es ist, als Architekt in verschiedenen Teilen der Welt arbeiten zu können. Man kann als Profi durch die Welt reisen und sich mit wichtigen Themen beschäftigen, die das Lebensniveau auf unserem Planeten verbessern sollen. Der Architekt hat natürlich nicht selbst ein Rezept parat. Er muss sich vielmehr mit den Meinungen unterschiedlicher Experten vertraut machen und dann die wichtigen Aspekte in seinen Projekten für ein Haus, ein Wohnviertel oder eine Stadt berücksichtigen.“

Als elfjähriges Kind habe er gedacht, ein Architekt sei derjenige, der sich attraktive Hausfassaden ausdenke, sagt Chybík. Heute wisse er, dass mit der Architektur auch wirtschaftliche, soziale und ökologische Werte verknüpft sind.