Filme der Zukunft: Junge Regisseure beim Filmfestival in Karlsbad

Film „Furiant“ (Foto: YouTube)

Von 3. bis 11. Juni fand in Karlovy Vary / Karlsbad zum 50. Mal das Internationale Filmfestival statt. Zum ersten Mal gab es in diesem Jahr die Sektion „Future Frames: Ten New Filmmakers to Follow“. Darin konnten zehn junge Regisseure, die noch studieren oder gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben, kurze Filme präsentieren und Kontakte für nächste, größere Projekte in der Filmindustrie knüpfen.

Moïra Pitteloud  (Foto: Film Servis Festival Karlovy Vary)
Moïra Pitteloud ist eine junge Schweizer Filmregisseurin. Ihr Interesse für das Funktionieren von Machtmechanismen zieht sich durch alle ihre bisherigen Arbeiten, die immer soziale und politische Themen behandeln:

„Ich interessiere mich für Macht. Wie funktioniert sie? Wie wird sie zwischen Menschen konstruiert? Was ist die Macht von Institutionen? Wie geht es dir als Individuum gegenüber der Macht einer Institution? Welche Handlungsmöglichkeiten hast du?“

Mit ihrem Kurzfilm „L’offre“ hat Moïra Pitteloud das Bachelorstudium an der Hochschule für Kunst und Design in Genf abgeschlossen. Es ist eine Detailstudie von Problemen des Lebens in einer multikulturellen Gesellschaft. Ein junger Schweizer mit algerischen Wurzeln, der trotz guter Ausbildung keinen Job finden kann, erhält ein Angebot, für den nationalen Nachrichtendienst zu arbeiten. Der Bewerbungsprozess wirft aber viele Fragen auf: Hat er das Angebot nur auf Grund seiner Herkunft, nicht dank seiner Fähigkeiten bekommen? Die Regisseurin erzählt:

Kurzfilm „L’offre“  (Foto: Film Servis Festival Karlovy Vary)
„Meine Hauptfigur hat ein Loyalitätsproblem. Er steht vor einem Dilemma. Der Film handelt von diesem Dilemma: Soll er den Job annehmen oder nicht? Was bedeutet es für ihn? Was bedeutet es, zwischen zwei Kulturen zu stehen? Wann wird man zum Verräter?“

Die Hauptfigur kämpft sich durch einen langwierigen Bewerbungsprozess. Immer wieder werden ihm Fragen gestellt, die ihn vor den Kopf stoßen. Mit ambivalenten Antworten versucht er sich der Kategorisierung zu entziehen. Gleichzeitig beginnt er, seine eigenen Ansichten zu hinterfragen und zu verändern:

Kurzfilm „L’offre“
„Er will nicht kategorisiert werden. Er will nicht einfach der muslimische Mann sein, über den es so einfach ist, ein Urteil zu fällen. Deswegen bewegt er sich immer von einer Aussage zur anderen. Denn sie stellen ihm Fragen, die ihm zu sehr einen Stempel aufdrücken. Zum Beispiel: ‚Sind Sie ein Muslim? Praktizieren Sie die Religion? Gehen Sie in die Moschee‘ – Und was bedeutet das eigentlich? Bedeutet das, dass er ein Extremist wird? Es geht darum, dass er wirklich als ein komplexes, vielschichtiges Individuum anerkannt werden will und nicht als dieser muslimische Ghettomensch, den jeder im Kopf hat.“

Keine Klischees

Kurzfilm „L’offre“
Die Geschichte beruht auf den Erfahrungen eines guten Freundes der Regisseurin. Das Thema war für sie interessant, da es die Möglichkeit barg, die Geschichte eines Menschen mit arabischen Wurzeln abseits von Klischees zu erzählen:

„Für mich war das sehr interessant, denn es barg die Möglichkeit, eine binationale Person zu portraitieren, einen Muslim mit arabischem Hintergrund, und zwar in einer Mittelschicht-Familie. Es war eine perfekte Möglichkeit, nicht immer einen muslimischen Immigranten im Ghetto zu zeigen. Man hat immer diese französischen Filme im Kopf mit diesem arabischen Akzent im Französischen... Ich hatte das Gefühl, ich sollte wirklich über diese Geschichte meines Freundes sprechen, denn es ist ein perfektes Beispiel einer Realität, die wir nicht oft in Filmen sehen.“

Kurzfilm „L’offre“
Das Gefühl, das ihr Freund immer wieder beschrieben hat, war: nicht interviewt, sondern verhört und unter Druck gesetzt zu werden. Moïra Pitteloud hat deswegen Verhörmethoden für ihren Film recherchiert:

„Ich habe ein bisschen über Investigationsmethoden geforscht: Wie organisiert man Verhöre? Wenn man einen Verdächtigen hat, und man will ihn zum Sprechen bringen, welche Techniken verwendet man? Ich habe in diese Richtung gelesen und recherchiert. Wie erzeugt man Druck, und wie zeigt man das? Dieses Ambiente, das man kreiert, um eine Person dazu zu bringen, zu sprechen.“

Erste Schritte in die Filmindustrie

Renate Rose  (Foto: Archiv European Film Production)
Mit der Sektion „Future Frames“ beim internationalen Filmfestival in Karlsbad sollen junge Regisseure unterstützt werden, erste Schritte in den Filmbetrieb zu machen. Aus insgesamt 36 Ländern wurden dafür die besten zehn Filme von Studierenden und frischen Absolventen von Filmakademien ausgewählt. Renate Rose arbeitet für das Netzwerk European Film Promotion, das die Future Frames Sektion mitorganisiert hat:

„Unserer Erfahrung nach haben die Regisseure, die zunächst unter dem Schutz der Filmhochschulen arbeiten können, danach oft Probleme. Sie müssen sich in der Filmindustrie erst zurechtfinden und brauchen die richtigen Kontakte. Und hier bei diesem großen A-Filmfestival in Karlovy Vary versuchen wir natürlich, diese Kontakte für diese jungen Leute herzustellen. Parallel werden diese zehn Filme auch in einem sehr schönen Programm gezeigt.“

Was es bedeutet Mensch zu sein

Ondřej Hudeček  (Foto: ČTK)
Ein weiterer Regisseur und Kameramann ist der Tscheche Ondřej Hudeček. In seinem Film „Furiant“ zeigt er die Jugend des bedeutendsten Dramatikers des tschechischen Realismus im 19. Jahrhundert: Ladislav Stroupežnický. In der tragischen Geschichte gibt es homosexuelle Liebe, Krieg, Gewalt, Depression und sehr viel schwarzen Humor. Es endet damit, dass sich die 17-jährige Hauptfigur selbst erschießen will und dabei ihr Gesicht verstümmelt, aber überlebt. Dazu der Regisseur:

„Ich wollte diese Zeit aus einem etwas anderen Blickwinkel zeigen, als das, was wir aus den Schulbüchern gewöhnt sind: diese Zeit der großen Nationalhelden, der fehlerlosen Charaktere. Und diese Figur ist unglaublich kompliziert, sie hat etwas an sich, das uns heute sehr weit weg erscheint. Am meisten gefällt mir daran, dass es jemand ist, der aufgrund seiner Fehler und Entscheidungen vereinsamt. Aber er schafft es, sich wieder aufzurichten und weiter zu machen. Dieser Moment, wenn jemand einen Zustand solcher Verzweiflung erreicht und wie durch ein Wunder dennoch fähig ist, zu überleben! Eine solche Figur weiß meiner Meinung nach sehr viel darüber, was es bedeutet, Mensch zu sein – sicherlich mehr, als die meisten von uns heute.“

Film „Furiant“  (Foto: YouTube)
Um seine Geschichte zu erzählen, wählte Hudeček einen verspielt-formalistischen Zugang, der einen gewissen Abstand des Zuschauers zum Erzählten herstellen soll. Denn, so Hudeček, es sei unmöglich eine historische Begebenheit zu durchleben. Wir können nicht wissen, wie die Details wirklich gewesen seien. Es schien ihm deshalb für dieses Thema angebracht, einen theatralischen Abstand zu halten und den Zuschauer gar nicht erst in eine solche Illusion zu locken:

Film „Furiant“  (Foto: YouTube)
„Der ganze Film ist mit sarkastischem, verstecktem Humor durchsetzt, der nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Er ist sehr sanft, sehr zynisch. Die Geschichte ist sehr dramatisch, aber gleichzeitig betrachten wir sie auf eine solch humoristische Weise. Damait zwinkern wir den Zuschauern zu und verraten, wie sie den Film lesen sollen. Auch der Einsatz von vielen Grafiken stellt eine Distanz des Zuschauers zum Film her. Er soll das alles nicht zu ernst nehmen. Das Publikum muss fähig, das große Ganze zu sehen.“

Film „Furiant“  (Foto: YouTube)
Die Grafiken sind Zeichnungen des vielleicht bekanntesten tschechischen Malers aus dieser Zeit: Mikoláš Aleš. Indirekt ist auch er mit der Geschichte verknüpft, denn er war der jüngere Bruder von einer der Filmfiguren. Ondřej Hudeček:

„Der Grund, warum ich so viele Zeichnungen verwendet habe, ist einerseits der, dass sie sich dieser Zeit annähern. Sie evozieren das 19. Jahrhundert. Und gleichzeitig ist es ein Element, das wieder dieser leichten Entfremdung dient. Im Film gibt es so viele Möglichkeiten, um etwas zu erzählen. Es muss nicht alles auf die gleiche Weise gemacht werden: mit einem Gespräch zwischen zwei Personen, durch irgendeine dramatische Situation. Wenn ich das Gefühl habe, dass man diese Situation dadurch erzählen lässt, dass ich einen Ausschnitt aus dem Skript und eine Zeichnung zeige, und dass das vielleicht weitaus besser funktioniert, als die Szene zu drehen, dann sehe ich keinen Grund, es nicht zu machen.“

Tschechischer Nationalismus auf Deutsch

Film „Furiant“  (Foto: YouTube)
Ein weiteres auffallendes Element in Hudečeks Film sind die verhältnismäßig vielen deutschen Zitate und Gedichte.

„Das Deutsche ist mit dieser Zeit sehr eng verbunden. Man vergisst oft, dass diese ganze Zeit der Nationalen Wiedergeburt, um die es hier geht, diese Zeit, in der sich die tschechische Nation gegen die Tyrannen in Wien erhoben hat, sehr eng mit dem Deutschen verbunden ist. Auch die tschechische Sprache ist viel enger mit dem Deutschen verbunden, als wir oft zugeben. Ich finde es sehr interessant, dass gerade in einer Zeit, in der das Nationaltheater gebaut wurde und all die national Wiedergeborenen dort hingingen und über die Architektur und die Verzierungen redeten – dass all diese Gespräche über diese größte goldene Kapelle des tschechischen Nationalismus auf Deutsch geführt wurden. Unter sich haben all diese Patrioten deutsch gesprochen.“

Ladislav Stroupežnický
Ondřej Hudeček plant, aus seinem Kurzfilm einen abendfüllenden Film zu machen. Er soll den Dramatiker Ladislav Stroupežnický dann auch am Höhepunkt seiner Karriere zeigen, wie er von seiner Vergangenheit eingeholt wird und sie sein Leben zu verkomplizieren beginnt. Der Kurzfilm über seine Jugend wird dabei als erster Teil in den längeren Film einfließen. Moïra Pittelouds nächstes Projekt wird ein Film über Machtmechanismen und den Aufstieg eines Tyrannen.

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