Gebührenfrei und praxisbezogen: Tschechen zieht es zum Studium nach Deutschland

Foto: Markéta Kachlíková

Ein kurzer Sommersprachkurs, ein längerer Studienaufenthalt beziehungsweise das ganze Studium im Ausland – für tschechische Studierende ist das heutzutage eine selbstverständliche Sache. Knapp 1860 von ihnen sind in diesem akademischen Jahr an Universitäten in Deutschland eingeschrieben.

Tereza Jůzová hat Dolmetschen und Soziologie an der Karlsuniversität in Prag studiert. Im Rahmen des Studiums hat sie auch zwei Semester an der Ludwig-Maximilian-Universität in München verbracht.

„Das größte Nutzen war auf jeden Fall die Automatisierung der deutschen Sprache. An der Karlsuniversität wird meist in Tschechisch gelehrt. Man muss daher in das jeweilige Land fahren, um die Sprache an sich zu lernen. Wenn man versucht, in einem anderen Land zu leben, erlebt man auch eine andere Perspektive. Das war für mich natürlich auch gut. Dies betrifft aber nicht nur Deutschland, sondern gilt überall.“

Andere Perspektive erleben

Christof Heinz  (Foto: Markéta Kachlíková)
Wer sich für ein Studium in Deutschland interessiert, kann sich an das Informationsbüro des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Prag wenden. Seinen Sitz hat es im Goethe-Institut am Moldau-Kai. Das DAAD-Büro wird von Christof Heinz geleitet.

„Wir beim DAAD in Tschechien beraten Interessenten, die in Deutschland studieren wollen. Wir beraten auch darüber, wie man am besten an eine deutsche Hochschule kommt. Aber natürlich kommen nicht alle, die tatsächlich nach Deutschland gehen, auch zu uns ins Informationszentrum des DAAD. Das deutsche Bundesamt für Statistik hat aber die Zahl ermittelt. Demnach sind 1859 Studierende aus Tschechien zurzeit an deutschen Hochschulen eingeschrieben.“

Illustrationsfoto: Griszka Niewiadomski,  Free Images
Unter den Fächern, die tschechische Studierende in Deutschland studieren, ragen bestimmte besonders heraus:

„Und zwar sind das Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaften und Rechtswissenschaften. Das ist auch kein Wunder: Wenn man sich die wirtschaftliche Verflechtung der deutschen und der tschechischen Wirtschaft ansieht, dann ist klar, dass das der Bereich ist, in dem die Zusammenarbeit wahrscheinlich am intensivsten ist. Aber natürlich kommen an zweiter Stelle gleich die Sprach- und Kulturwissenschaften. Es sind vor allem natürlich Leute, die Deutsch studieren, Germanistik studieren. Für sie ist ein Studienaufenthalt in Deutschland sehr wichtig. An dritter Stelle kommen dann erst Ingenieurwissenschaften oder Naturwissenschaften, da haben wir noch ein bisschen Aufholbedarf.“

Deutsche Studenten sind aktiver

Universität in München  (Foto: Rufus46,  CC BY-SA 3.0)
Tereza Jůzová gehört mit ihren Fächern Deutsch und Soziologie sowohl der ersten als auch der zweiten Gruppe an. Bestehen Unterschiede beim Studium in Tschechien und in Deutschland?

„Natürlich gibt es Unterschiede, es gibt aber auch viele Gemeinsamkeiten. Es gibt spannende und interessante, aber auch langweilige Vorlesungen und Seminare hier und dort. Da die Universität in München größer ist, sind dort mehr Studenten, und man kann aus einem breiteren Angebot an Seminaren etwas für sich auswählen.“

In der Soziologie hat sie zudem eine interessante Erfahrung gemacht:

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„Die deutsche Wissenschaft, so wie ich es erlebt habe, die Soziologie ist viel auf sich konzentriert, auf die deutschen Soziologen. Das ist ja auch kein Wunder, weil die deutsche Soziologie sehr bedeutend ist. Aber man könnte vielleicht auch andere Länder mehr in den Unterricht einbeziehen. Es werden wohl zwei Franzosen und ein Amerikaner erwähnt, aber die Länder östlich von Deutschland kaum. Das finde ich schade.“

Unterschiede sieht Tereza Jůzová im Übrigen sogar zwischen den Studierenden hierzulande und in Deutschland:

„Die Studenten dort müssen mehr lesen. Das habe ich sehr gut gefunden. Und die Studenten sind auch aktiver als hier. In Tschechien habe ich das Gefühl, dass die Studenten ab und zu sehr zurückhaltend und schüchtern sind. In Deutschland haben die Studenten bei Seminaren sehr viel gesprochen. Vielleicht sind sie schon aus der Schule daran gewöhnt. Ich hatte das Gefühl, sie sprechen manchmal auch nur um zu sprechen, ohne dass sie etwas Besonderes zu sagen hatten. Aber allgemein finde ich das gut, dass die Studenten aktiver sind.“

Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds bietet speziell für das Studium in Deutschland eine Förderung. Tereza Jůzová hat eben bei dem Fonds ein Stipendium beantragt:

„Es gab die Möglichkeit, eine Erasmus-Förderung zu beantragen, aber da kann man den Studienort nicht auswählen. Außerdem war das Stipendium des Zukunftsfonds automatisch für zwei Semester, es hat mir also mehr Sicherheit geboten.“

Bei der Wahl der Stadt entschied sie sich für München:

„Es war teilweise spontan, aber ich wollte in eine große Stadt. Meine Wahl hat sich als sehr gut erwiesen: In München kann man sehr viele Literaturveranstaltungen besuchen, zum Beispiel im Literaturhaus oder im Lyrik-Kabinett. Außerdem gibt es dort das Literaturfest. Mit der Wahl war ich also sehr zufrieden.“

Boom nach dem EU-Beitritt

Foto: Markéta Kachlíková
In Tschechien gibt es rund 70 Hochschulen, in Deutschland sind es über 400. Zwischen den Einrichtungen auf den beiden Seiten der Grenze gibt es insgesamt über 500 Partnerschaften. DAAD-Koordinator Christof Heinz:

„Das sind meist Kooperationen auf Uni-Ebene, Kooperationsvereinbarungen, Erasmus-Verträge. Es gibt allerdings auch Partnerschaften, die intensiver sind, manche werden vom DAAD gefördert. Derzeit bestehen zum Beispiel über 30 Partnerschaften, sogenannte Ost-Partnerschaften, zwischen deutschen und tschechischen Universitäten. In ihrem Rahmen gibt es für Studierende, aber auch für wissenschaftliches Personal zahlreiche Möglichkeiten, an die Partneruniversität zu wechseln.“

Die Studienaufenthalte in Deutschland sind meist kurzfristig und dauern ein oder zwei Semester. Sie erfolgen vor allem im Rahmen von Erasmus-Stipendien. Christof Heinz:

Foto: Europäische Kommission
„Der EU-Beitritt Tschechiens hat einen enormen Anstieg der Zahlen gebracht. Einfach deswegen, weil die Mobilität dadurch erleichtert wurde. Es gibt allerdings auch die Möglichkeit, gleich von vorn herein ein ganzes Studium in Deutschland zu machen. Oder man setzt beispielsweise nach dem Bachelor an einer tschechischen Universität den Master an einer deutschen Universität fort. Dafür hat der DAAD ein eigenes Stipendienprogramm.“

Daneben existiert eine spezielle Form der Zusammenarbeit, die sogenannten Doppelabschlussprogramme.

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„Man studiert sowohl an seiner Heimatsuniversität hier in Tschechien, als auch ein Jahr an der Partneruniversität in Deutschland. Der Vorteil dieses Programmes ist es, dass man nach Abschluss des Studiums in beiden Ländern einen Uni-Abschluss hat. Die Frage der Anerkennung eines Hochschulabschlusses im jeweils anderen Land fällt also weg.“

Ringen mit anglo-amerikanischen Universitäten

Nach dem EU-Beitritt Tschechiens im Jahr 2004 boomte das Studium im Nachbarland zunächst. Heute allerdings stagnieren die Zahlen, und das trotz der vielen Angebote, stellt Heinz fest:

„Das ist einer anderen Entwicklung geschuldet, nämlich dem Trend zu immer größerer Globalisierung und Internationalisierung. Auch die tschechischen Hochschulen müssen darauf achten, dass sie im internationalen Wettbewerb nicht zurückfallen. Und Internationalisierung heißt in vielen Fällen einfach eine Bevorzugung des Anglo-Amerikanischen.“

Illustrationsfoto: Alasdair Nicol,  CC BY-NC 2.0
Das Englische ist in Tschechien auch die am meisten gelernte Fremdsprache. Doch das Deutsche nimmt die Position der zweiten Fremdsprache ein:

„Ich denke, wir können aus deutscher Sicht ganz froh sein, dass immer noch 60 Prozent der Schüler an den Sekundarschulen Deutsch lernen. Und dass auch die Zahl der Studieninteressenten in den letzten Jahren relativ stabil geblieben ist.“

Es gebe aber mehrere Faktoren, warum ein Studium in Deutschland wieder attraktiver werden könnte, unterstreicht der Leiter des DAAD-Büros:

„Das ist zum einen, dass die deutschen Universitäten die Studiengebühren vor ein paar Jahren abgeschafft haben, dass es also finanziell für viele tschechische Studierende leichter ist, in Deutschland zu studieren als an zum Teil sehr teuren britischen oder amerikanischen Universitäten. Zum anderen ist es ein Vorteil, dass in Deutschland viele Universitäten, aber vor allen Dingen auch Fachhochschulen, sehr praktisch ausgerichtet sind. Man muss sich also an deutschen Universitäten nicht zwischen Theorie und Praxis entscheiden, sondern kann beides miteinander verbinden.“