Ausgebeutet: Arbeit und Leben als Billiglöhnerin

Doku über Billiglöhnerin (Foto: Archiv des Dokumentarfilm-Festivals in Jihlava)

Eine tschechische Journalistin hat sich in prekären Arbeitsverhältnissen anstellen lassen und ihre Erlebnisse gefilmt.

Doku über Billiglöhnerin  (Foto: Archiv des Dokumentarfilm-Festivals in Jihlava)
Die Arbeitslosenquote in Tschechien ist so niedrig wie nie: Im September dieses Jahres lag sie bei 3,8 Prozent. Tatsächlich beklagen Firmen schon seit Längerem einen Mangel an Arbeitskräften, vor allem Facharbeiter und IT-Experten werden gesucht.

Trotzdem gibt es ein Geheimnis, das jeder kennt, über das aber niemand öffentlich sprechen will: Menschen ohne Ausbildung oder aus sozial schwachem Umfeld werden von den Arbeitgebern auf unterschiedliche Weise ausgebeutet. Für Journalisten ist es sehr schwierig, dies zu dokumentieren. Denn aus Angst vor der Kündigung schweigen die Betroffenen. Die Journalistin Saša Uhlová hat sich daher unter falschem Namen bei insgesamt fünf Arbeitgebern anstellen lassen. Was sie erlebt hat, zeichnete sie mit versteckter Kamera auf. Dieses Experiment habe sie etwa ein halbes Jahr lang gemacht, sagte Uhlová gegenüber dem Tschechischen Rundfunk:

Saša Uhlová  (rechts). Foto: Archiv des Dokumentarfilm-Festivals in Jihlava
„Ich war von Januar bis Ende Juli dieses Jahres auf diese Weise beschäftigt. Es war sehr anstrengend auch für meine Familie, denn die Arbeitsplätze befanden sich in verschiedenen Städten Tschechiens. Um unsere vier kleinen Kinder musste sich also mein Mann kümmern. Vor dem Start musste ich meine Identität offiziell ändern lassen. Also hatte ich einen Ausweis mit einem anderen Namen, als unter dem ich publiziere.“

Eine Krankenhauswäscherei, eine Fleischfabrik, eine Kasse im Supermarkt, eine Rasiergerätefabrik und eine Abfallsortieranlage – das waren die Orte, die Saša Uhlová hautnah erlebt hat. Sie führte darüber auch ein Tagebuch, obwohl es etwa nach einer Zwölfstundenschicht nicht einfach gewesen sei, wie sie sagt. Aus den Notizen und Aufnahmen schrieb sie mehrere Beiträge für Nachrichtenportale und drehte einen Film mit dem Titel „Hranice práce“, als deutsche Übersetzung würde sich am ehesten „grenzwertige Arbeit“ anbieten. Der Steifen entstand in Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Fernsehen und mit Unterstützung des „Fonds für unabhängigen Journalismus“. Die Premiere war vor kurzem auf dem Dokumentarfilm-Festival in Jihlava / Iglau. Den Zuschauern dürfte dabei besonders das meist sehr unfreundliche Klima am Arbeitsplatz aufgefallen sein, so die Autorin:

„Hranice práce“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften auf dem Markt hoch ist und die Löhne trotzdem niedrig bleiben, kündigen viele Arbeitnehmer. Es ist dann ein Teufelskreis: je weniger Mitarbeiter, desto mehr Arbeit und Stress für diejenigen, die bleiben. Man muss dann für zwei oder drei malochen, und das ist nicht auszuhalten. Man macht Fehler, Probleme lassen sich nicht lösen, der Chef schimpft und schreit. Das hängt mit der hohen Fluktuation zusammen: Es bleibt keine Zeit, neue Angestellte anzulernen, die Erklärungen beschränken sich auf schroffe Befehle. Die Beschäftigten misstrauen einander, und die Chefs behandeln Neueinsteiger grob, denn sie wissen, dass diese sowieso früher oder später kündigen werden.“

Schroffe Befehle und keine Gewerkschaft

„Hranice práce“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Eigentlich müsste fehlendes Personal das Gehalt nach oben treiben. In bestimmten Bereichen ist das mittlerweile auch so: Supermarktketten haben schon mehrmals die Löhne erhöht, um neue Angestellte anzulocken. Obwohl den Mitarbeitern streng untersagt ist, über ihre Bezahlung zu sprechen, hat die Dokumentarfilmerin etwas Interessantes entdeckt: Die Neueinsteiger verdienen manchmal mehr, als diejenigen, die schon mehrere Jahre in gleicher Position arbeiten. In anderen Berufen kommt es jedoch nicht zu Verbesserungen. Die prekär Beschäftigten sind einfach nicht in der Lage, für ihre eigenen Interessen zu kämpfen. In solchen Firmen gibt es auch keine Gewerkschaftsorganisation.

„Nach der Veröffentlichung der Reportagen habe ich mit den Menschen aus einer Fabrik gesprochen. Sie haben mir gesagt, dass eine Kontrolle aus dem Arbeitsinspektorat zu ihnen kommen werde. Also habe ich ihnen angeboten, eine Beschwerde über die Arbeitsbedingungen in der Fabrik zu verfassen. Zum Beispiel haben sie oft keine Möglichkeit, aufs Klo zu gehen, weil die Bänder weiterlaufen und weit und breit niemand ist, der sie vertreten könnte. Ich habe gesagt, sie sollten den Kontrolleuren einfach eine Liste mit ihren Beschwerdepunkten vorlegen oder sie ihnen per E-Mail zuschicken. Sie haben das aber alle abgelehnt“, so Saša Uhlová.

„Hranice práce“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Die schlimmsten Arbeitsbedingungen herrschten wohl in der Abfallsortieranlage: Hinter einer sauberen und modernen Pforte beginnt eine Welt, in der es penetrant stinkt und Ratten herumlaufen. Manchmal greifen die Tiere sogar die Arbeiter an, auch Saša Uhlová wurde gebissen. Die Schicht dort ist wirklich schwer: zwölf Stunden am Laufband stehen und unendliche Massen von Abfälle sortieren. Der Gestank störe einen zwar bald nicht mehr, dafür schmerzten die Beine immer mehr, sagt Saša Uhlová. Die einzige Chance sei, jegliches Nachdenken einzustellen und nur noch mechanisch die Hände zu bewegen. Wie ein Roboter. Die Belohnung dafür liegt nur knapp über dem Mindestlohn. Das bedeutet 11.000 Kronen oder umgerechnet 420 Euro.

Gestank und Ratten für 400 Euro

„Hranice práce“  (Foto: Archiv von Saša Uhlová)
Die Journalistin knüpfte in relativ kurzer Zeit engere Kontakte zu einigen Angestellten. Ihnen verriet sie auch, warum sie sich eigentlich hat anstellen lassen. Die Filmzuschauer können daher in die Welt dieser Menschen blicken. Dabei ist zu sehen, wie die anderen Angestellten erstaunt sind, dass sich Saša Uhlová in der Kantine ein einfaches Mittagessen leisten kann. Oder dass sie eine Monatskarte für den öffentlichen Personennahverkehr hat. Allerdings sagt die Autorin der Reportage, man müsse differenzieren:

„Es besteht ein Unterschied, ob man mit dem Mindestlohn von 11.000 Kronen in Prag oder in einer Kleinstadt leben muss. Sehr wichtig ist die Art der Wohnung. Wenn man in den eigenen vier Wänden lebt und der Partner oder die Partnerin auch arbeitet, ist es nicht so tragisch. Man arbeitet zwar hart, ist aber nicht richtig arm. Anders ist es in Prag: Viele sozial schwache Menschen leben in Wohnheimen, weil sie die Miete für eine Wohnung nicht zahlen können. Wenn man über schlecht bezahlte Arbeit redet, bedeutet das nicht, dass alle Betroffenen in Not sind. Häufig werde ich jetzt gefragt: Sind die Löhne oder die Arbeitsbedingungen das größere Problem? Das lässt sich nicht einfach sagen. In der Krankenhauswäscherei waren zum Beispiel die Arbeitsbedingungen nicht ganz schlecht, die Entlohnung war aber äußerst niedrig. In der Fleischfabrik war dies umgekehrt.“

„Hranice práce“  (Foto: Archiv von Saša Uhlová)
Uhlovás Aufzeichnungen aus der Welt der Billigarbeit sind in Tschechien auf großen Widerhall gestoßen. Ausschnitte aus dem Film wurden im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen gezeigt, und ihre Texte in einigen Printmedien publiziert. Für die Journalistin, die eher für alternative Internetseiten arbeitet, war dies eine angenehme Überraschung. Die Reaktionen der Öffentlichkeit seien meist positiv, sagt sie. Ein bisschen anders war dies bei den betroffenen Arbeitgebern: Einige gaben bestimmte Mängel in ihrer Personalpolitik zu, andere wiesen jede Kritik zurück. Das Wichtigste sei jedoch, dass über das Thema öffentlich diskutiert werde, sagt Saša Uhlová.

„Hranice práce“  (Foto: Archiv von Saša Uhlová)
„Vielleich habe ich dazu ein bisschen beigetragen, es sind aber mehrere Faktoren im Spiel: Schon lange läuft eine Kampagne des tschechischen Gewerkschaftsbundes, die ein Ende der billigen Arbeit fordert. Immer mehr Menschen hierzulande sind für gerechte Arbeitsbedingungen sensibilisiert. Aussagen im Sinne von ‚Die Armen haben selbst schuld an ihrer Lage ‘ hört man immer weniger, was sich auch in den Medien widerspiegelt. Wenn zum Beispiel eine Reportage über systematisches Unrecht gegen einen Menschen veröffentlicht wird, folgt oft eine Welle der Solidarität, die Leser oder Zuschauer helfen dem Betroffenen mit Spenden. Armut wird bei uns als echtes Problem dargestellt. Es gibt sicher viele Gründe, warum die Journalisten heute anders denken als in den 1990er Jahren.“