Ungebetene Gäste – Prag als Terroristenzuflucht

Carlos in Prag (Foto: ABS / archivalische Sammlungen von SNB - files (SL), arch. no. SL-454 MV)

Carlos der Schakal und München-Attentäter Abu Daoud sind häufig in die Tschechoslowakei gereist. Doch die StB wollte sie loswerden.

Als 2010 der Film „Carlos – Der Schakal“ herauskam, schrieben die Macher, dass immer noch viele Details rund um das Leben des Terroristen unbekannt seien. Nun hat die junge slowakische Politologin Daniela Richterová mehr Licht in einen Bereich gebracht. Es geht um Prag als Drehscheibe für Männer wie Carlos oder auch Abu Daoud, der 1972 am Anschlag in München beteiligt war. Richterová ist Doktorandin an der Universität von Warwick in Großbritannien. Sie hat in den Archiven der tschechischen Hauptstadt geforscht. In einem Interview für Radio Prag schildert sie unter anderem ihre Erkenntnisse, warum die Stadt an der Moldau so interessant war für die Terroristen:

„Zunächst war die geographische Lage perfekt. Denn die meisten Ziele für Anschläge lagen in Westeuropa, entweder in West-Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden. Prag im Herzen Europas muss also ein großartiger Ort gewesen sein, weil er zugleich Schutz bot durch den Eisernen Vorhang und so ermöglichte, Mitglieder der Gruppe oder andere Partner zu treffen. Zum anderen war Prag relativ offen gegenüber Ausländern. Es war kosmopolitischer als andere Städte im Ostblock.“

Dabei standen die Terroristen unter ständiger Beobachtung der tschechoslowakischen Staatssicherheit, der StB. Diese schoss Fotos und schrieb Berichte. Carlos wurde dabei unter anderem auch mit seiner deutschen Freundin Magdalena Kopp abgelichtet, sie hat den geborenen Venezolaner mehrfach in Prag getroffen oder ist mit ihm zusammen eingereist. In den Berichten der StB erhielt Carlos den Namen Bak, Abu Daoud wurde wiederum als Rak geführt, im Tschechischen das Wort für Krebs.

Carlos mit Magdalena Kopp in Prag  (Foto: ABS / archivalische Sammlungen von SNB - files  (SL),  arch. no. SL-454 MV)
Daniela Richterová hat sich durch die Geheimdienst-Berichte gearbeitet. Dabei interessierte die Wissenschaftlerin vor allem auch, ob der Ostblock mit den Terroristen gemeinsame Sache gemacht hat. Das war aber anscheinend nicht der Fall.

„Die Tschechoslowakei hat sie zwar auf ihrem Staatsgebiet geduldet, und sie sind mehrfach hier hergekommen. Aber die Behörden waren nicht sonderlich froh über ihre Anwesenheit. Sie bezeichneten Carlos und Daoud als Extremisten und Terroristen“, so Richterová.

Im Schutz des Eisernen Vorhangs

Carlos war in den 1970er und 1980er Jahren der meistgesuchte Mann weltweit. Zum Beispiel leitete er im Dezember 1975 die Attacke auf den Opec-Hauptsitz in Wien, bei der die Minister einiger Länder als Geiseln genommen wurden. Später ging Carlos auch zu Auftragsmorden über.

Abu Daoud mit einer Frau in der Tschechoslowakei  (Foto: ABS / archivalische Sammlungen von SNB - files  (SL),  arch. no. SL-5698 MV)
Abu Daoud wiederum gilt als Drahtzieher der Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Bei dem Überfall starben insgesamt elf israelische Sportler.

Tatsächlich haben westliche Geheimdienste wohl gewusst, dass beide Terroristen regelmäßig auch in Prag gewesen sind. Aber sie seien aus guten Gründen nicht tätig geworden, sagt die Politologin:

„Ich habe darüber mit einigen Leuten diskutiert, die geholfen haben, Carlos aufzuspüren und ins Gefängnis zu bringen. Sie deuteten an, dass sie von den Aufenthalten gewusst haben. Zugleich sagten sie, es sei nicht leicht gewesen, in den eher abgeriegelten sozialistischen Ländern eine Operation zu starten. Mein Eindruck aus den Interviews ist, dass es keine Versuche gab, Carlos entweder dort zu fangen oder umzubringen. Aber man war wohl in leicht steigendem Maß informiert, dass er und andere sich in der Tschechoslowakei häufiger aufhielten.“

Hotel Intercontinental  (Foto: Jirka Bubeníček,  Public Domain)
Und die Terroristen fühlten sich zeitweilig wohl relativ sicher. Acht Mal kam Daoud alias Rak nach Prag. Er bestellte gerne Prostituierte auf sein Zimmer im Hotel Intercontinental, und 1980 zechte er zum Beispiel ausgiebig zusammen mit einem irakischen Geheimdienstler. Im entsprechenden Bericht schrieb die tschechoslowakische Staatssicherheit:

„Um 2.50 Uhr morgens trat Rak aus dem Intercontinental. Er war barhäuptig, trug einen leichten braunen Anzug und braune Schuhe, hatte keine weiteren Gegenstände bei sich. Rak ging auf wackligen Beinen, mit den Händen in den Taschen, zu einem Fahrzeug vor dem Haupteingang und lehnte sich – schwer atmend – dagegen.“

Der Bericht schließt mit den Worten, Daouds Gang lasse darauf schließen, dass er „schwer betrunken“ gewesen sei.

Prostituierte und Waffenhandel

Carlos in Prag  (Foto: ABS / archivalische Sammlungen von SNB - files  (SL),  arch. no. SL-454 MV)
Carlos wiederum traf in Prag sowohl seine engsten Vertrauten, als auch Verbündete aus dem Nahen Osten. Dies waren häufig Geheimdienstler, die aber mit einem Diplomatenpass ausgestattet waren. Und nicht nur das, wie Daniela Richterová sagt:

„Die StB glaubte, dass es auch Treffen mit Vertretern der deutschen Rote Armee Fraktion oder sogar der spanischen ETA und der IRA in Prag gegeben hat. Es gibt keine detaillierten Niederschriften dieser Zusammenkünfte, aber Gesprächsfetzen sind bekannt. Daraus lässt sich schließen, dass dabei über Waffenhandel diskutiert wurde.“

Carlos der Schakal und Abu Daoud hätten sich aber auch gemeinsam getroffen.

Foto: Tschechisches Fernsehen
„Das haben wir aus den Unterlagen herausgefunden, die jetzt zugänglich geworden sind. Aus detaillierten Überwachungsberichten geht hervor, dass sie sich mindestens zweimal in der Snackbar des Hotels Intercontinental getroffen haben – nur einen Steinwurf weit entfernt vom Jüdischen Viertel in Prag. Sie haben sich zum Kaffee und zum Frühstück getroffen. Wir sind uns nicht sicher, worum sich ihr Gespräch gedreht hat. Denn für die StB war es schwierig, solche Leute im öffentlichen Raum zu observieren. Aber klar ist, dass beide Geld und Kontakte ausgetauscht haben. Auch denken wir, dass Daoud nach Prag geschickt worden sein könnte, um radikalere Gruppen wie die von Carlos auszuspionieren.“

Letztlich wurde den tschechoslowakischen Behörden das Treiben der Terroristen aber zu viel. Bei Daoud griff die StB im Jahr 1982 zu. Vier Stunden lang verhörte sie den Mann aus den besetzten Palästinensergebieten. Dabei drohten die Beamten, die Berichte über das Lotterleben von Abu Daoud an verbündete Geheimdienste weiterzureichen. Aufgebracht soll der Terrorist danach einen Angestellten des Intercontinental im Aufzug angefaucht haben, er – Daoud – werde nie mehr in die Tschechoslowakei kommen.

Die List der tschechoslowakischen Staatssicherheit

Schwerer tat sich die StB mit Carlos. Die Staatssicherheit fürchtete Racheaktionen im Falle einer allzu offensichtlichen Ausweisung, er galt schließlich als unberechenbar. Dennoch wurde ihm 1980 auf der Botschaft in Sofia das Visum in die Tschechoslowakei verweigert. Im selben Jahr reiste er dann aber mit einem syrischen Diplomatenpass ein. Letztlich griffen die Geheimdienstler zu einer List, als Carlos im Juni 1986 zusammen mit seiner schwangeren Frau Magdalena ein weiteres Mal nach Prag kam.

Das Gefängnis La Santé  (Mitte),  wo Carlos inhaftiert wurde  (Foto: Michael C. Berch,  CC BY-SA 3.0)
„Sie schickten einen ihrer Leute ins Intercontinental. Der traf Carlos in dessen Zimmer und sagte ihm, dass er in Gefahr schwebe. Ein französisches Killerkommando sei auf seiner Spur. Der StB-Agent versuchte Carlos zu überzeugen, dass die Franzosen bereits in Prag wären und angreifen wollten. Die französischen Dienste waren bekannt dafür, ihre Gegner auch im Ausland zu liquidieren. Innerhalb weniger Stunden packte Carlos seine Sachen und auch die Waffen, die er immer bei sich trug, fuhr zum Prager Flughafen und flog weg“, so Richterová.

Es war das letzte Mal, dass der damals meistgesuchte Terrorist in Prag gesehen wurde. Letztlich wurde Carlos 1994 im Sudan gefasst und an Frankreich ausgeliefert. Dort sitzt er seitdem in Haft und wurde im Februar dieses Jahres zum dritten Mal zu Lebenslänglich verurteilt. Daoud wiederum starb 2010 in Damaskus an Nierenversagen.

Für Wissenschaftler sind die Einsichten in die Geheimdienstakten wertvoll. Sie hätten geholfen, das Verhältnis sozialistischer Staaten zu Linksterroristen aufzuklären, erläutert Daniela Richterová:

„Wir haben nicht gewusst, dass diese sehr bekannten Köpfe regelmäßig hier hergekommen sind und sich in der Tschechoslowakei beispielsweise medizinisch behandeln ließen. Zugleich hat uns überrascht, wie die StB reagiert hat. Wir hatten gedacht, dass der Ostblock inklusive der Tschechoslowakei im Grunde eine gemeinsame Linie hatte und diese Gruppen, die sich marxistisch nannten, unterstützt hat. Aus den Archivmaterialen ergibt sich aber das Bild sehr unterschiedlicher Strategien. Sie reichten von der offiziellen Unterstützung der PLO bis zu einer Ablehnung radikaler Gruppierungen.“

Die Erkenntnis also: Realsozialismus und Linksterrorismus haben sich nicht prinzipiell vertragen.