Ein Tausendsassa im Pazifik – Das abenteuerliche Leben des Eduard Ingriš

Eduard Ingriš (Foto: Archiv H+Z)

Er komponierte etwa 60 Operetten, drehte Filme mit Ernest Hemingway, lichtete den peruanischen Staatspräsidenten ab und fuhr mit einem Floß über den Pazifik. Das sind nur ein paar Schlaglichter aus den abenteuerlichen Leben von Eduard Ingriš. Dennoch ist dieser Mann in Tschechien heute fast vergessen.

Eduard Ingriš  (Foto: Archiv H+Z)
1937 gab Eduard Ingriš der Zeitung Národní politika ein Interview über seine künstlerischen Anfänge. Dort sagte er:

„Mit zehn Jahren fand ich in einem Märchen einen Spruch, der mir so gefiel, dass ich mich entschloss, ihn zu vertonen. Ich spielte damals Klavier und Geige, aber theoretisch konnte ich schon alle Instrumente. Daher schrieb ich mein erstes kleines Musikstück für ein ganzes Orchester. Mit 15 Jahren begann ich Operetten zu komponieren. Mit der ersten hatte ich Pech, die zweite wurde aber bereits mit Erfolg aufgeführt. Nach dem Abschluss des Konservatoriums bekam ich eine Stelle als Operettensänger im Prager Theater Urania, und bald lieferte ich auch eigene Operetten.“

„Mit 15 Jahren begann ich Operetten zu komponieren. Mit der ersten hatte ich Pech, die zweite wurde aber bereits mit Erfolg aufgeführt.“

So begann die Karriere von einem der erfolgreichsten tschechischen Musiker in der Zwischenkriegszeit. Ingriš arbeitete praktisch für alle Prager Theater und Varietés, als Sänger, Komponist und Dirigent. Er schrieb die Musik für mehrere Filme, seine Kompositionen erschienen auf Schallplatten und wurden gedruckt. Bei so großer Aktivität ist es kein Wunder, dass Ingriš auch finanziell bald sehr gut dastand. Mit dem Untergang der Ersten Tschechoslowakischen Republik ging diese glückliche Zeit jedoch zu Ende. Bald nach dem Einmarsch der Deutschen im Jahr 1939 saß Ingriš drei Monate lang im Gefängnis, erläutert der Musikhistoriker und Publizist Radek Žitný.

 (Foto: Archiv H+Z)
„Damals war eine ganze Reihe von Künstlern inhaftiert, meistens wegen einer lächerlichen Kleinigkeit. Zum Beispiel wurde Ingrišs enger Kollege, Freund und Auftraggeber Jára Kohout nur deswegen festgenommen, weil in seinem Kaffeehaus angeblich einige ‚patriotische‘ Bilder hingen. Das Ziel war, den freidenkenden Künstlern die Machtverhältnisse zu demonstrieren und sie von einer eventuellen Aktivität im Widerstand abzuschrecken. In künstlerischen Kreisen waren auch viele Gestapo-Spitzel eingesetzt, das haben wir ziemlich gut dokumentiert. Davon war natürlich auch Eduard Ingriš betroffen.“

Tatsächlich engagierte sich Ingriš während des Zweitens Weltkrieg in keiner Weise politisch. Im Sommer 1941 eröffnete er am Rande von Prag sein eigenes Kino. Doch es war nur ein paar Monate in Betrieb, denn nach Amtsantritt des Stellvertretenden Reichsprotektors Reinhard Heydrich wurden alle Kulturveranstaltungen im Protektorat Böhmen und Mähren verboten. Dem früheren Star blieb nur noch der Traum von einer besseren Zukunft. In dieser Zeit fielen ihm die Bücher des deutschen Kanu-Pioniers und Abenteurers Herbert Rittinger in die Hände. Inspiriert von dessen Reisen verfiel Ingriš auf die Idee, nach dem Krieg Südamerika zu besuchen. Damals konnte er nicht ahnen, wie bald er tatsächlich zu dem fremden Kontinent aufbrechen sollte. Auslöser war das veränderte Klima in seiner Heimat nach dem Zweiten Weltkrieg, schrieb Ingriš in seinen Memoiren:

Foto: Archiv Radio Prag
„Es war irgendwann im Jahr 1946, als ich zu einer Tagung eingeladen wurde. Ein etwa 28-jähriger Fatzke, in Russland erzogen, hielt eine Rede, wobei er etwa Folgendes sagte: Die unmoralische bourgeoise Musik müsse ein Ende nehmen. Kein Jazz, kein Swing, keine Operette. Man brauche keine amerikanischen, französischen oder deutschen Schlager, sondern fortschrittliche Lieder für die Arbeiter. Dann ließ er einige billige russische Gassenhauer auf dem Grammophon abspielen. Wir Zuhörer waren alle Komponisten aus verschiedenen Richtungen, aber wir wussten alle, welche Stunde geschlagen hatte.“

“Bei einer Tagung 1946 forderte ein 28-Jähriger Fatzke das Ende der unmoralischen, bourgeoisen Musik. Wir waren Komponisten aus verschiedenen Richtungen, aber wir wussten alle, welche Stunde geschlagen hatte.“

Amazonas,  1949  (Foto: Archiv H+Z)
Ende 1947 machte sich Ingriš auf eine Studien- und Arbeitsreise nach Südamerika. Dort hatte er gute Kontakte zu Kollegen mit jüdischen Wurzeln, denen es gelungen war, vor dem Zweiten Weltkrieg aus Europa zu emigrieren. Sie waren bereit, den Aufenthalt des tschechischen Musikers zumindest zu Beginn zu finanzieren. Ingriš war zwar Millionär, aber keine Bank in der Tschechoslowakei hatte damals Devisen, die sie hätte verkaufen können. Gleich nach der Ankunft in Argentinien zerschlugen sich seine Pläne jedoch, sagt der Musikhistoriker Radek Žitný:

Amazonas-Indianer,  1950 Jahre  (Foto: Archiv H+Z)
„Argentinien, wo damals Präsident Juan Perón herrschte, weigerte sich ihm ein Visum zu erteilen. Ingriš hatte sich nämlich vor der Einreise eine gewisse Zeit in Paris aufgehalten, und in der Zwischenzeit war es zum kommunistischen Umsturz in der Tschechoslowakei gekommen. Die Behörden in Buenos Aires hielten ihn wahrscheinlich für einen feindlichen Agenten. Ingriš musste also das argentinische Staatsgebiet verlassen. Zum Glück konnte er sich an andere Freunde wenden, die es ihm ermöglichten, in Südamerika zu bleiben. Ingriš fand sein neues Zuhause in der peruanischen Hauptstadt Lima. Er gründete dort mehrere Musikensembles, und später leitete er auch das große Symphonieorchester. Er wurde dort nicht nur als Komponist und Dirigent, sondern auch als Organisator des kulturellen Lebens geschätzt. Noch in den 1970er Jahren war Ingriš als Ehrengast zu verschieden Veranstaltungen eingeladen. Argentinien lehnte ihn ab, in Peru wurde er dagegen wohl aufgenommen.“

Peru,  1949-1960  (Foto: Archiv H+Z)
Ingriš war jedoch nicht nur Musiker, sondern auch Fotograf. Sein Talent in diesem Bereich war schon in der Tschechoslowakei bekannt, aber erst in Südamerika brachte er sie zur Vollkommenheit. Man sagt, er sei technisch so begabt gewesen, dass er seine Kameras selbst noch technisch verbessern und an seine Bedürfnisse anpassen konnte. Er fotografierte das Alltagsleben von Indianern, die Naturschönheiten von Machu Picchu, Cusco oder den Titicacasee. Ingrišs Aufnahmen erschienen in Zeitschriften wie Time oder Live und wurden bei Fotowettbewerben ausgezeichnet. Weil er fotografieren lernen wollte, wandte sich auch der amerikanische Vizekonsul in Lima an Ingriš. Diese Bekanntschaft bereitete dem Einwanderer aus Böhmen den Weg zum berühmten norwegischen Globetrotter Thor Heyerdahl. Ein weiterer Auszug aus Ingrišs Memoiren:

Thor Heyerdahl
„Heyerdahl benötigte einige Fotos für seine Bücher, und der amerikanische Diplomat hat mich ihm empfohlen. Ich hatte einen Termin mit Heyerdahl im Hotel Bolivar im Zentrum von Lima. Es war relativ früh am Morgen, die Hotelhalle war fast leer. Vergeblich wartete ich auf einen wilden, bärtigen Abenteurer, den gefürchteten Kapitän der Kon-Tiki. Auf einem breiten Sofa saß stattdessen ein frisch rasierter Man in einem beigen Anzug. Er glich einem Bankbeamten und machte sich Notizen. An diesem Tag begann eine große Freundschaft. “

Heyerdahl benötigte Fotos für seine Bücher. Ich hatte einen Termin mit ihm im Hotel Bolivar in Lima. Vergeblich wartete ich auf einen wilden, bärtigen Abenteurer. Stattdessen glich er einem Bankbeamten.“

Thor Heyerdahl beeindruckte Ingriš unter anderem mit seiner Pazifik-Überfahrt auf dem Floß, und dieser entschied sich, es ihm nachzutun. Auch er wollte ergründen, wie die alten Inkas vor mehreren Tausend Jahren über die Kontinente hinweggereist waren. Daher besorgte sich Ingriš ein Floß und machte sich auf die Reise von Peru nach Polynesien. Den ersten Versuch 1955 musste er bald abbrechen, der zweite vier Jahre darauf gelang. Der Seefahrer dokumentierte die Reise, seine Fotos wurden in aller Welt gedruckt. Zwischen den beiden Floßfahrten ereignete sich 1957 jedoch ein weiteres denkwürdiges Kapitel. Ingriš bekam einen Auftrag aus Hollywood: Auf Wunsch von Ernest Hemingway beriet Ingriš das Team bei der Verfilmung des Romans „Der alte Mann und das Meer.“ Dabei lernte er den berühmten Schriftsteller näher kennen. Auch das Privatleben von Eduard Ingriš war lange Zeit wohl eher abenteuerlich. Er heiratete erst mit 57 Jahren. Radek Žitný:

„Die Hochzeit schien wie aus einem romantischen Film entnommen. Angeblich hat er seiner Partnerin sein Alter verheimlicht und ist erst kurz vor der Zeremonie damit herausgerückt. Seine Frau war ebenfalls eine interessante Persönlichkeit: Es war Nina Karpushkinowa, die Tochter russischer Emigranten, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei in die USA geflüchtet waren. Auch in diesem Punkt zeigte sich Ingriš also erfinderisch: dass er sie überhaupt gefunden hat.“

Nina Ingrišová  (Foto: Archiv Radio Prag)
Eduard Ingriš starb 1991 in Nevada, seine alte Heimat erblickte er nicht mehr wieder. Seine Witwe brachte jedoch seinen Nachlass nach Tschechien. Das einzigartige Archiv umfasst 1100 Kilogramm an Akten und Material und ist im Mährischen Museum in Zlin beherbergt.